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6.12.2006

Anfechtung der Erbschaftsannahme wegen Irrtums

Die irrige Vorstellung des unter Beschwerungen als Alleinerbe eingesetzten Pflichtteilsberechtigten, er dürfe die Erbschaft nicht ausschlagen, um seinen Anspruch auf den Pflichtteil nicht zu verlieren, rechtfertigt die Anfechtung einer auf dieser Vorstellung beruhenden Annahme der Erbschaft.
Der Erblasser hatte seinen Sohn als Alleinerben eingesetzt, aber mit zahlreichen Vermächtnissen und einer Testamentsvollstreckung beschwert. Der Sohn hat die Erbschaft in der irrigen Vorstellung nicht ausgeschlagen, er würde sonst seinen Anspruch auf den Pflichtteil verlieren. Später erklärte er die Anfechtung der Erbschaftsannahme wegen Irrtums, „weil der Nachlass derart mit Vermächtnissen belastet ist, dass mein Pflichtteil gefährdet ist. Dieser Umstand war mir zum Zeitpunkt der Annahme nicht bekannt.“ Der BGH hatte über die Beachtlichkeit dieses Irrtums zu entscheiden.

Ein Rechtsirrtum berechtigt nach ständiger Rechtsprechung nur dann zur Anfechtung gem. § 119 I BGB, wenn das vorgenommene Rechtsgeschäft wesentlich andere als die beabsichtigten Wirkungen erzeugt. Dagegen ist der nicht erkannte Eintritt zusätzlicher oder mittelbarer Rechtswirkungen, die zu den gewollten und eingetretenen Rechtsfolgen hinzutreten, kein Irrtum über den Inhalt der Erklärung mehr, sondern ein unbeachtlicher Motivirrtum (vgl. BGHZ 134, 152, 156 = NJW 1997, 653).

Im Sinne dieser Unterscheidung ging das BayObLG (NJW-RR 1995, 904; NJWE-FER 1998, 178 = ZEV 1998, 431) bei der Anfechtung einer ausdrücklich erklärten Erbschaftsannahme davon aus, dass die unmittelbar angestrebte Rechtsfolge einer solchen Erklärung allein das Ziel sei, die Stellung als Erbe einzunehmen; der infolgedessen eintretende Verlust des Wahlrechts nach § 2306 I 2 BGB sei dagegen nur eine mittelbare Rechtsfolge, deren Unkenntnis die Anfechtung nicht rechtfertige. Dem ist die Literatur weithin gefolgt. Wird die Erbschaft dagegen nicht durch ausdrückliche Erklärung, sondern etwa durch schlüssiges Verhalten des Erben angenommen, lässt das BayObLG (NJW 1988, 1270, 1271) eine Anfechtung zu, wenn der Erbe weder weiß noch will, dass er durch sein Verhalten das Recht verliert, die Erbschaft auszuschlagen.

Demgegenüber entnahm das vorlegende OLG Hamm (NJW 2005, 3808) den entscheidenden Grund für die Bejahung der Anfechtbarkeit dem Zweck der gesetzlichen Regelung: Wenn das Gesetz dem pflichtteilsberechtigten Erben gezielt ein Wahlrecht zwischen dem belasteten Erbteil und dem Pflichtteilsrecht einräume, dann müsse man wegen dieser spezifischen Verknüpfung die rechtlichen Wirkungen der Ausschlagung oder der Annahme auf das Pflichtteilsrecht zu den Hauptwirkungen der jeweiligen Erklärung (bzw. des Verstreichenlassens der Ausschlagungsfrist) rechnen.

Der BGH schloss sich dieser Auffassung an und sieht dagegen im Verlust des Pflichtteilsrechts in der Situation des § 2306 I 2 BGB eine unmittelbare und wesentliche Wirkung der Annahme, die den Charakter der Annahme nicht weniger präge als das Einrücken in die Rechtsstellung des Erben; beides seien zwei Seiten derselben Medaille.

Praxishinweis: Der BGH hat im Sinne eines effektiven Schutzes des Pflichtteilsrechts entschieden. Der Berater des Pflichtteilsberechtigten wird in ähnlich gelagerten Fällen zu prüfen haben, ob es wirtschaftlich Sinn macht, dem Mandanten durch eine Anfechtung der Annahmeerklärung die zunächst verlorenen Pflichtteilsansprüche wieder zu verschaffen. Wegen der relativ kurzen Anfechtungsfrist von sechs Wochen (§ 1954 I BGB) besteht für den Anwalt dabei ein nicht unerhebliches Haftungsrisiko.

BGH, Beschluss vom 5.7.2006 IV ZB 39/05 = NJW 2006, 3353 = ZEV 2006, 498 mit Anmerkung D. Leipold

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