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18.02.2015
Erben mit Auslandsbezug

Neue Chancen und Risiken

Die im Jahre 2012 in Kraft getretene Europäische Erbrechtsverordnung findet auf alle Erbfälle Anwendung, bei denen der Erblasser am 17.08.2015 oder danach verstirbt.

 

I.

Die Verordnung gilt mit Ausnahme von Dänemark, Großbritannien und Irland in allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und enthält wichtige Neuregelungen über das anwendbare Recht in Erbfällen mit Auslandsberührung.

 

Im Einzelnen:

 

1.)     Rechts- und Nachlasseinheit

 

Bisher war es so, dass auf ein und denselben Erbfall mehrere unterschiedliche Rechtsordnungen zur Anwendung kommen konnten, z. B. dann, wenn der Erblasser Grundbesitz in verschiedenen Staaten hinterlassen hatte. Diese Rechts- und Nachlassspaltungen führten nach alter Rechtslage häufig zu Streitigkeiten unter den Erben, wenn es um die Verteilung des Nachlasses ging.

 

Die mit derartigen Nachlassspaltungen verbundenen Streitigkeiten wird es im Anwendungsbereich der Verordnung bei Erbfällen ab dem 17.08.2015 nicht mehr geben, weil die Verordnung dann für den gesamten Nachlass eines Erblassers einheitlich gilt, und zwar unabhängig davon, wo dieses Vermögen liegt,.

 

2.)     Anwendbares Erbrecht und Zuständigkeit

 

Die Verordnung führt aber nicht etwa dazu, dass in allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union nunmehr ein einheitliches europaweit gleiches materielles Erbrecht anzuwenden wäre.

 

Die Verordnung bestimmt lediglich das Erbrecht des Staates, das im Erbfall anzuwenden ist und knüpft dabei an den letzten gewöhnlichen Aufenthalt eines Erblassers an. – abweichend von der bisherigen Anknüpfung im deutschen Recht.

 

In der Verordnung ist der Begriff des gewöhnlichen Aufenthaltes nicht gesetzlich definiert. Er muss nicht zwingend dem Wohnsitz des Erblassers entsprechen. Bei der Ermittlung des letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers  zum Zeitpunkt des Erbfalles wird es künftig also  auf die Umstände des Einzelfalles ankommen: auf die Dauer und Regelmäßigkeit des Aufenthaltes, familiäre, berufliche und soziale Bindungen und Beziehungen, die Belegenheit des Vermögens, die Einordnung in die Lebensumwelt des fremden Staates und Sprachkenntnisse des Erblassers.

 

Aus Sicht des Deutschen Rechtsanwenders führt die Europäische Erbrechtsverordnung damit zu erheblichen Veränderungen:

 

Während ein deutscher Staatsangehöriger bislang stets nach den materiell-rechtlichen Bestimmungen des deutschen Erbrechtes beerbt wurde, selbst dann, wenn er im Ausland verstarb und dort Vermögen hinterließ, ist nun das Recht des Staates anwendbar, in dem der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte.

 

Für Erbfälle ab dem 17.08.2015 wird demnach nicht mehr entscheidend sein, welche Staatsangehörigkeit der Erblasser hatte oder wo sein Nachlass belegen ist.

 

Verstirbt ein deutscher Rentner mit Grundbesitz in Frankreich und Spanien und weiterem Vermögen in München und Berlin, der seinen Lebensabend in Südtirol verbringt, wird dieser Erblasser nach italienischem Erbrecht beerbt.

 

Ist nach dem letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers das materielle Erbrecht eines bestimmten Mitgliedstaates einschlägig, so sind dann im Interesse des Gleichlaufes von internationaler Zuständigkeit und anwendbarem Recht auch die Gerichte dieses Mitgliedsstaates für den gesamten Nachlass des Erblassers zuständig, ganz gleich, wo dieser belegen ist, sofern bilaterale Verträge mit Drittstaaten dem nicht entgegenstehen.

 

Die stetig wachsende Mobilität und Freizügigkeit in Europa - weit über 12 Mio. Europäer leben nicht in ihren Heimatländern, sondern in anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union - zieht damit bei jeder grenzüberschreitenden Veränderung des gewöhnlichen Aufenthaltes auch eine Veränderung des anwendbaren Erbrechtes nach sich. Dadurch entsteht eine erhebliche Planungs- und Rechtsunsicherheit, was den Betroffenen oft gar nicht bewusst und von ihnen auch nicht gewünscht ist.

 

3.)     Rechtswahl

 

Wer diese Rechtsunsicherheit sich und vor allem auch seinen Erben ersparen möchte, kann eine Rechtswahl treffen, die die EU-Erbrechts-VO zulässt.

 

In einer Verfügung von Todes wegen kann das Recht des Staates gewählt werden, dem die wählende Person zum Zeitpunkt der Rechtswahl oder zum Zeitpunkt ihres Todes angehört.

 

Personen, die mehrere Staatsangehörigkeiten innehaben, können das Recht eines jeden Staates wählen, dem sie angehören.

 

Die Rechtswahl erstreckt sich in einem solchen Falle auf das gesamte Erbrecht, erfasst also neben dem anwendbaren gesetzlichen Erbrecht auch die erbberechtigten Personen, deren Erbquoten, Enterbungen, Vermächtnisse, Annahme und Ausschlagung von Erbschaften und insbesondere auch die Pflichtteile und etwaige Noterbrechte.

 

Mit einer solchen Rechtswahl können in den Grenzen einer zulässigen rechtlichen Gestaltung also auch Erb- und/oder Pflichtteilsansprüche unliebsamer Angehöriger ganz oder teilweise ausgeschlossen werden, soweit die Pflichtteils- und/oder Noterbrechte in anderen europäischen Staaten anders ausgestaltet oder im Einzelfall diese Rechte sogar gänzlich ausgeschlossen sind.

 

4.)     Testamente/Erbverträge

 

Die europäische Erbrechtsverordnung kennzeichnet die maßgeblichen Verfügungen von Todes wegen als Testament, gemeinschaftliche Testamente und als Erbvertrag.

 

Neben dem für einzelne Mitgliedsstaaten weiterhin gültigen Haager Übereinkommen regelt die Europäische Erbrechtsverordnung die Formvorschriften, wonach es grundsätzlich ausreicht, wenn das Recht des Staates eingehalten wird, in dem der Erblasser letztwillig verfügt hat.

 

5.)     Nachlasszeugnis

 

Überdies soll das Europäische Nachlasszeugnis erhebliche Vereinfachung bei grenzüberschreitenden Erbfällen bringen. Erben und Testamentsvollstrecker sollen damit in allen Mitgliedsstaaten, in denen die Verordnung gilt ihre Rechtsstellung einheitlich nachweisen und sich legitimieren können.

 

6.)     Fazit

 

Aus alledem ergibt sich, dass und welche erheblichen Veränderungen die Europäische Erbrechtsverordnung für Erbfälle mit Auslandsberührung ab dem 17.08.2015 mit sich bringt und welche Gestaltungsmöglichkeiten im Einzelfalle bestehen können.

 

Um die Chancen und Risiken der gesetzlichen Neuregelungen zu erkennen, sollten sich Betroffene rechtzeitig Rat bei einem Fachanwalt für Erbrecht oder einem Notar einholen und überprüfen, ob und inwieweit es zweckmäßig ist, eine erbrechtliche Regelung, z. B. eine Rechtswahl zu treffen bzw. schon bestehende erbrechtliche Regelungen anzupassen oder insgesamt abzuändern.

 

 

 



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