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08.06.2019
Beschenkte Mutter verstirbt vor Großmutter

Enkel hatte keinen Pflichtteilsergänzungsanspruch

Der Kläger hat in einem Rechtsstreit Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche gegen den Erben seiner Großmutter geltend gemacht. Diese verstarb im Jahr 2012, drei Jahre nach ihrer Tochter Helga, die gleichzeitig Mutter des Klägers ist.

Die Großmutter hatte bereits 1984 einen Erbvertrag mit ihrem Sohn geschlossen, in dem sie ihn als Alleinerben einsetzte. 2005 wurde der Vertragstext dahingehend ergänzt, dass sie ihrer Tochter Helga zwei Kontovollmachten einräumte und bestimmte, dass der Pflichtteil ihrer enterbten Tochter abgegolten sei, soweit diese vor dem Tod der Großmutter deren Ersparnisse entnehmen würde. Ob diese Abrede der Tochter bekannt war, war in dem Rechtsstreit umstritten, sodass zur Aufklärung dieser Frage eine Beweisaufnahme durchgeführt werden musste.

Im Laufe der Zeit erhielt die Mutter des Klägers jedenfalls rund 62.000 Euro aus den genannten Ersparnissen.

Was beinhaltet der Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruch?

Der Pflichtteilsanspruch ist die unentziehbaren Teilhabe eines nahen Angehörigen am Nachlass einer verstorbenen Person. Pflichtteilsberechtigt sind laut dem Gesetz Abkömmlinge und der Ehegatte. Wenn keine Abkömmlinge vorhanden sind, sind auch die Eltern einer verstorbenen Person pflichtteilberechtigt.  Die Höhe des Pflichtteils entspricht der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils. Der sogenannte ordentliche Pflichtteilsanspruch bezieht sich auf den Nachlasswert zum Zeitpunkt des Todesfalls.

Schmälert der Erblasser nun zu Lebzeiten seinen Nachlass, indem er Schenkungen an Dritte vornimmt, so verringert sich neben dem Nachlass folglich auch die Höhe des Pflichtteils. Dann kann der Pflichtteilsberechtigte unter Umständen neben dem ordentlichen Pflichtteils- einen Pflichtteilsergänzungsanspruch haben. Um diesen zu ermitteln rechnet man im Prinzip den verschenkten Gegenstand oder Geldbetrag dem Nachlass unter Berücksichtigung einiger gesetzlich vorgesehener Korrekturen wieder hinzu. Auf dieser Basis wird der Pflichtteilsanspruch dann erneut errechnet. Ist der sich so ergebende Betrag höher als der Wert des ordentlichen Pflichtteils stellt die Differenz den Pflichtteilsergänzungsanspruch dar.

Erfolgreiche Beschwerde vor dem OLG München

In dem zugrunde liegenden Fall wendete sich der Kläger nun an den beklagten Sohn der Großmutter, der laut Erbvertrag Alleinerbe wurde und damit grundsätzlich einen etwaigen Pflichtteilsanspruch in allen seinen Facetten erfüllen muss. Der Kläger ist als Abkömmling der Großmutter der Auffassung, dass ihm Pflichtteils- bzw. Pflichtteilsergänzungsansprüche gegen den Nachlass seiner Großmutter zustehen, da der Kläger, nachdem dessen Mutter noch vor der Großmutter verstorben war, an deren Stelle trat. Er meint, dass die Zahlungen, die seine Mutter zu Lebzeiten erhalten hat, nicht auf ihren Pflichtteils- oder Pflichtteilsergänzungsanspruch anzurechnen gewesen wären.

Nachdem das Landgericht (74 O 560/15) dem Grunde nach der Auffassung des Klägers gefolgt ist und den Beklagten tatsächlich zur Zahlung von rund 17.000 Euro nebst Zinsen (hiervon betrafen rund 7.000 Euro den Pflichtteilsergänzungsanspruch) an den Kläger verurteilt hatte, zog dieser vor das OLG München (20 U 2354/18) – mit Erfolg. Die Klage wurde zugunsten des Beklagten insgesamt abgewiesen.

Pflichtteilsergänzungsanspruch setzt eine Schenkung an Dritte voraus

Damit es sich überhaupt um eine ergänzungspflichtige Schenkung im Sinne des Gesetzes handelt, muss diese an eine dritte Person erfolgt sein. Hier erhielt die Mutter als enterbte Pflichtteilsberechtigte jedoch selbst diese Schenkungen, sodass diese Voraussetzung nicht gegeben sei. Schließlich sei der Kläger an die  Stelle seiner Mutter getreten und sei daher auch wie sie zu behandeln.

Die Großmutter hatte nur ihre Tochter beschenkt, aber niemand anderen. Allein aus diesem Grund konnte der Kläger schon keinen Ergänzungsanspruch haben.

Anrechnungsbestimmung hier entscheidend

Das Berufungsgericht stellte sogar fest, dass der Kläger auch keinen Anspruch auf einen ordentlichen Pflichtteil hat.

Der Kläger musste sich die seit 2005 an seine verstorbene Mutter geflossenen Geldbeträge aufgrund einer wirksamen Anrechnungsbestimmung seiner Großmutter auf seinen Pflichtteil anrechnen lassen. Zwar hat die Mutter die Anrechnungsbestimmung in dem zwischen Erblasserin und ihrem Sohn geschlossenen Erbvertrag nicht unterzeichnet und diese möglicherweise damit auch nicht gekannt.

Eine solche Anrechnungsbestimmung auf den Pflichtteil sei aber formfrei möglich und könne auch mündlich oder stillschweigend erklärt werden, solange sie für den Pflichtteilsberechtigten als solche erkennbar sei. Die durch das Oberlandesgericht durchgeführte Beweisaufnahme bestätigte, dass die Mutter des Klägers wusste demnach, dass die Geldflüsse auf ihren ordentlichen Pflichtteil anrechenbar sein sollten.

Zuwendungen übersteigen den Pflichtteil

Das Berufungsgericht stellte letztlich fest, dass die Zuwendungen an die Mutter des Klägers den ihr zustehenden Pflichtteil sogar überstiegen. Aus diesem Grund sei ein möglicher Anspruch des Klägers insgesamt bereits abgegolten. Im Ergebnis standen dem Kläger also niemals Ansprüche den Pflichtteil betreffend zu. Somit konnte der Beklagte am Ende doch noch obsiegen.

Praxistipp des Fachanwalt für Erbrecht Joachim Mohr, Gießen

Eine Anrechnungsbestimmung auf den ordentlichen Pflichtteil muss zwischen dem Erblasser und dem Pflichtteilsberechtigten vor oder bei der Zuwendung erfolgen und ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung. Sie ist, wie bereits ausgeführt, zwar formfrei möglich. Der Rechtsstreit zeigt jedoch, dass es aus Beweisgründen und zum Schutz des späteren Erben sinnvoll ist, eine solche Anrechnungsbestimmung schriftlich vorzunehmen und von dem Pflichtteilsberechtigten bestätigen zu lassen. Hätte die Erblasserin hier entsprechend gehandelt, hätte sie ihrem Sohn den Rechtsstreit damit erspart.



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