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09.02.2016
Digitaler Nachlass:

Zugang von Erben zum Profil der Verstorbenen in deren sozialen Netzwerk

Die Erbengemeinschaft hat einen Anspruch auf Zugang in das Benutzerkonto, welches die Erblasserin aufgrund eines Vertragsverhältnisses mit einem Betreiber eines sozialen Netzwerks unterhält.

Ein Nutzungsvertrag mit dem Betreiber eines sozialen Netzwerks geht im Wege der Gesamtrechtsnachfolge gem. § 1922 BGB auf die Erbengemeinschaft über.

 

Das Landgericht Berlin hatte über folgenden Sachverhalt zu entscheiden:

Am 03.12.2015 verstarb die Tochter der Klägerin im Alter von 15 Jahren durch einen Unfall. Die Mutter war zu Lebzeiten gesetzliche Vertreterin der Verstorbenen und ist als Miterbin Teil einer Erbengemeinschaft, die aus der Klägerin und dem Vater der Erblasserin besteht.

Die Klage richtet sich gegen die Betreiberin eines sozialen Netzwerks.

Nach dem Tod ihrer Tochter wollte die Mutter das Profil der Erblasserin auf der Website der Beklagten aufrufen. Dieses war allerdings in den sogenannten Gedenkzustand versetzt. Ein Einloggen in den Account ist nach Vornahme dieser Einstellung unmöglich. Somit war es der Klägerin verwehrt, das Profil ihrer verstorbenen Tochter aufzurufen.

Die Klägerin forderte die Beklagte mehrfach auf, das Profil ihrer verstorbenen Tochter zu entsperren. Die Beklagte lehnte die Herausgabe der Profildaten ab mit Verweis auf ihre Nutzungsbedingung und dem Hinweis darauf, dass sie grundsätzlich keine Profildaten von verstorbenen Nutzern herausgebe.

Die Klägerin war der Auffassung, dass die Gedenkzustandsrichtlinie unwirksam sei, und dass ihr als Miterbin der Erbengemeinschaft der geltend gemachte Zugangsanspruch zustehe.

Die Beklagte war der Auffassung, dass die Erbengemeinschaft das Profil ihrer Tochter nicht erben könne, und schon allein deswegen kein Zugangsanspruch bestehe.

Das LG Berlin beschäftigte sich in dieser Entscheidung mit der Frage des digitalen Nachlasses in Bezug auf die Mitgliedschaft in sozialen Netzwerken.

Zunächst widmete sich das Gericht der Frage, ob auch Vertragsverhältnisse mit sozialen Netzwerken, im Wege der Gesamtrechtsnachfolge gem. § 1922, auf den Erben übergehen.

Das Prinzip der Gesamtrechtsnachfolge gelte auch für höchstpersönliche Daten im digitalen Nachlass des Erblassers. Das LG Berlin stellt in seinem Urteil dar, dass sowohl die vermögensrechtlichen, als auch die nicht-vermögensrechtlichen Teile des digitalen Nachlasses vererblich seien. Es gebe keinen so gravierenden Unterschied zwischen dem digitalen und dem analogen Nachlass, der eine Ungleichbehandlung rechtfertigen würde. Als Beispiel führt es an, es gebe keinen Anlass, der Vererblichkeit von Briefen zuzustimmen, hingegen die Vererblichkeit von Emails abzulehnen.

Das LG führt im Weiteren aus, dass die Vererblichkeit des schuldrechtlichen Verhältnisses zwischen Erblasserin und der Betreiberin des sozialen Netzwerks, mit Blick auf den Gedanken des § 399 Abs. 1 Alt. 1 BGB, nicht wegen besonderer Personenbezogenheit des Nutzungsvertrages ausgeschlossen sei. Die Mitgliedschaft in einem sozialen Netzwerk sei nicht gleichzusetzen mit einer nicht vererbbaren Mitgliedschaft in einem Verein. Die schlichte Gewährung des Zugangs könne auch nicht zu dem höchstpersönlichen Bereich zugeordnet werden, und weise ebenfalls keinen überwiegenden Personenbezug auf.

Das LG Berlin legt kurz dar, dass die Beklagte sich zudem nicht darauf berufen könne, die Nutzungsbedingungen bezüglich der Sicherheit des Kontos verbieten ihr, den Erblassern einen Zugang zum Account zu verschaffen. Wird den Erben das Nutzerkonto zum Zwecke der Regelung des Nachlasses zugänglich gemacht, sei darin keine Gefährdung der Kontosicherheit zu sehen.

Das Landgericht sieht in der von ihm zu entscheidenden Fallkonstellation keine Gefahr der Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsrecht der Erblasserin aus Art. 1 Abs. 1 GG. Eine Verletzung des postmortalen Persönlichkeitsrechts scheide aus, da die Klägerin zu Lebzeiten der Erblasserin als Erziehungsberechtigte Sachwalterin des Persönlichkeitsrechts ihrer Tochter gewesen sei.

Die Gedenkzustandsrichtlinien der Beklagten stünden einem Anspruch auf Zugangsgewährung nicht entgegen.

Diese Sichtweise vertritt das LG mit folgender Begründung: Richtlinien, die verhinderten, dass Erben mit gültigen Zugangsdaten nicht auf das Konto der Erblasserin zugreifen können, stellen eine unangemessene Benachteiligung für den Nutzer und seinen Erben gem. § 307 Abs. 1, Abs.2 Nr.1 BGB dar.

Das Fernmeldegeheimnis aus § 88 Abs. 3 TKG iVm Art. 10 Abs. 1 sei zwar anwendbar, gleichwohl läge ein Verstoß gegen § 88 Abs. 3 TKG nicht vor. Dies ergebe sich daraus, dass die Betreiberin des sozialen Netzwerks nach erbrechtlichen Vorschriften verpflichtet sei, der Erbengemeinschaft den zu ihrem Nachlass gehörigen Account zugänglich zu machen. Somit sei das „erforderliche Maß“ gewahrt.

Das LG Berlin geht in seiner Entscheidung davon aus, dass deutsches Datenschutzrecht anzuwenden sei. Hier könne, obwohl das Bundesdatenschutzrecht nicht den Schutz von Toten bezweckt, ein Schutz zugunsten Daten Dritter einem Anspruch entgegenstehen. Das Datenschutzrecht müsse aber hinter dem erbrechtlichen Befund im Wege der praktischen Konkordanz zurücktreten. Durch die Wirkung des § 1922 BGB erfolge gerade kein Eingriff in die Rechte Dritter. Die Situation sei vergleichbar mit dem Erben von vertraulichen Briefen im analogen Nachlass.

Das LG Berlin spricht der Klägerin und dem Vater im Ergebnis als Erbengemeinschaft ein Anspruch auf Zugang in das Benutzerkonto der Erblasserin zu. Der Nutzungsvertrag mit der Beklagten sei im Wege der Gesamtrechtsnachfolge gem. § 1922 BGB auf die Erbengemeinschaft übergegangen.

Urteil des LG Berlin, 20. Zivilkammer, Az. 20 O 172/15

 

 

 

 



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