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16.11.2004

Vorweggenommene Erbfolge und Sozialhilferegress

Von Rechtsanwalt Bernhard F. Klinger, München, und Rechtsanwalt Thomas Maulbetsch, Mosbach/Baden

Zuwendungen im Rahmen einer vorweggenommenen Erbfolge beinhalten die latente Gefahr, dass der Schenker im Alters- oder Pflegefall hilfsbedürftig wird. Sozialhilfeträger müssen dann zur Deckung des dringenden Notbedarfs etwa für Miet- und Pflegekosten in Vorleistung treten und bitten danach Angehörige des Schenkers oder Zuwendungsempfänger zur Kasse.

I. Vorweggenommene Erbfolge
Eltern möchten mit einer vorweggenommenen Erbfolge einerseits Steuerspareffekte erzielen, andererseits soll wirtschaftlich „alles so bleiben, wie es ist“. Die Zuwendung von Immobilien an Kinder erfolgt deshalb meist gegen Vorbehalt eines Nießbrauchs- oder Wohnungsrechts, eines Leibgedings oder gegen Vereinbarung monatlicher Unterhaltszahlungen an die Eltern. Die Geschwister des Beschenkten erhalten häufig Gleichstellungsgelder, um zuwendungsbedingte Benachteiligungen zu vermeiden.

II. Sozialhilferegress
Rente und Pflegegeld reichen immer seltener zur Deckung der Heimkosten und des Pflegebedarfs aus. Das Sozialamt übernimmt dann zunächst den Fehlbetrag, wenn vom Bedürftigen die sofortige Geltendmachung eines Schenkungswiderrufs nicht verlangt werden kann. Zur Wiederherstellung des Grundsatzes des Nachrangs der Sozialhilfe (§ 2 I BSHG) kann der Sozialhilfeträger für bereits erbrachte und aktuell auflaufende Leistungen durch Verwaltungsakt Ansprüche des Hilfsempfängers gegen Dritte auf sich überleiten (§ 90 BSHG).

Ab 1.1.2005 wird das BSHG in das SGB XII eingegliedert. Eine Änderung der Rechtslage tritt hierdurch nicht ein, da der neue § 93 SGB XII dem § 90 BSHG nachgebildet ist (Müller, Der Rückgriff gegen Angehörige von Sozialleistungsempfängern, 4. Aufl., Teil B, Rdnr. 103).

1. Rückforderung wegen Verarmung des Schenkers
Durch Widerruf und Rückforderung der Schenkung nach § 528 I 1 BGB soll der Übergeber wieder in die Lage versetzt werden, seinen angemessenen Unterhalt selbst zu bestreiten. Dieser Anspruch ist auf den Sozialhilfeträger überleitbar und erlischt jedenfalls dann nicht mit dem Tod des Schenkers, wenn er zuvor Sozialhilfe in Anspruch genommen hat (BGH, FamRZ 1995, 1223). Dabei ist unbeachtlich, ob die Überleitungsanzeige vor oder erst nach dem Tode des Schenkers erlassen wird (BGH, NJW 1995, 2287).

2. Umfang und Inhalt des Rückforderungsanspruchs
Eine Rückforderung der Schenkung ist gem. § 528 I 1 BGB („soweit“) auf die Deckung des Notbedarfs begrenzt. Bei teilbaren Schenkungen wie etwa Geld ist nur der zur Behebung der Notlage erforderliche Anteil des Geschenks herauszugeben.

Bei nicht teilbaren Objekten – z.B. einem Grundstück – geht der Anspruch nur dann auf vollständige Rückgabe, wenn der bereits entstandene Unterhaltsbedarf den Schenkungswert übersteigt. Die Rückgabe kann aber durch Zahlung einer Leibrente abgewendet werden (§ 528 I 3 BGB). Liegt der Wert der Schenkung über dem Unterhaltsbedarf, ist vom Beschenkten nur Wertersatz in Geld (§ 818 II) in Höhe der Bedürftigkeit zu leisten (BGH, NJW 1985, 2420; NJW 1996, 987).

Bei gemischten, unteilbaren Schenkungen ist der Rückforderungsanspruch nur Zug um Zug gegen Ersatz der Gegenleistung zu erfüllen, falls der unentgeltliche Anteil überwiegt (BGH, NJW-RR 1988, 584). Ist der entgeltliche Anteil größer, so kann nur Ersatz bis zur Höhe des Werts des Schenkungsanteils verlangt werden (VGH Mannheim, NJW 2000, 376).

3. Einwendungen des Beschenkten
Eine Schenkungsrückforderung ist gem. § 529 I BGB ausgeschlossen, wenn bei Eintritt der Bedürftigkeit mehr als 10 Jahre seit Eintritt des Leistungserfolgs vergangen sind. Bei Immobilienzuwendungen sollte deshalb der Notar für einen schnellen Grundbuchvollzug sorgen. Der Beschenkte kann weiter gem. § 529 II BGB die Geschenkrückgabe verweigern, soweit er hierdurch selbst bedürftig werden würde (BGH, NJW 2000, 3488).

Der Beschenkte kann sich im Übrigen nicht darauf berufen, dass das verschenkte Haus für den Bedürftigen sog. Schonvermögen gem. § 88 II Nr. 7 BSHG und demnach vom Schenker nicht einzusetzen gewesen wäre (BVerwG, NJW 1992, 3312).

III. Fazit
Zur Vermeidung eines Sozialhilferegresses sollten Zuwendungen ohne Gegenleistungen möglichst vermieden werden. So können etwa in der Vergangenheit vom Zuwendungsempfänger erbrachte Aufwendungen (z.B. Mitarbeit, Bauleistungen, Pflege) durch eine vertragliche Leistungsverknüpfung den unentgeltlichen Teil der Zuwendung reduzieren.

Vorbehaltene Nutzungsrechte mindern zwar auch den Schenkungswert, dürften aber – in Anlehnung an die Rechtsprechung des BGH zum „Genussverzicht“ bei § 2325 III BGB zur Verlängerung der 10-Jahresfrist des § 529 I BGB führen und sind deshalb sozialhilferechtlich problematisch (J. Mayer, Der Übergabevertrag, 2. Aufl., 2001, Rdnr. 44).

(Quelle: NJW-Spezial 2004, 301)

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