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22.3.2006

Bindungswirkung erbrechtlicher Verfügungen

Testierenden ist häufig nicht bekannt, in welchem Umfang gemeinschaftliche Testamente und Erbverträge bindend sind. Eine spätere Korrektur falsch gestalteter Verfügungen ist nur eingeschränkt möglich.

I. Bindung einer Verfügung von Todes wegen
Bei einem gemeinschaftlichen Testament erlischt mit dem Tod des Erstversterbenden das Recht zum Widerruf der wechselbezüglichen Verfügungen (§ 2271 II 1 BGB). Diese Bindungswirkung tritt auch dann ein, wenn der überlebende Ehegatte überhaupt nicht bedacht wurde und erstreckt sich nicht nur auf das Vermögen des Erstversterbenden, sondern auch auf das Vermögen des Überlebenden, gleichgültig ob dieser es bis zum ersten Todesfall erworben hatte oder erst danach (RG, JW 1915, 1121). Bei einem Erbvertrag kann eine Vertragspartei ihre vertragsgemäßen Verfügungen bereits zu Lebzeiten nicht mehr frei widerrufen (§ 2289 I 2 BGB).

Als „wechselbezügliche“ bzw. „vertragsmäßige“ Verfügungen kommen nur Erbeinsetzungen, Vermächtnisse und Auflagen in Betracht (§ 2270 III BGB bzw. § 2278 II BGB), nicht also etwa Teilungsanordnungen oder die Anordnung einer Testamentsvollstreckung. Ob die Testierenden eine Bindungswirkung gewollt haben, ist durch Auslegung zu ermitteln, ersatzweise mittels der Auslegungsregel des § 2270 II BGB.

II. Lebzeitige Verfügungen des Gebundenen
Der gebundene Ehegatte bzw. Erbvertragspartner kann zu Lebzeiten frei verfügen. Sogar Schenkungen in Beeinträchtigungsabsicht zu Lasten des Begünstigten sind wirksam, führen aber zu einem bereicherungsrechtlichen Herausgabeanspruch (direkt bzw. analog §§ 2287, 2288 BGB), es sei denn, der Erblasser hatte ein anerkennenswertes Eigeninteresse an der Zuwendung (Fallgruppen finden sich bei Palandt/Edenhofer, BGB, 65. Aufl., 2006, § 2287 Rdnr. 7).

III. Beratung des Testierenden
Wünschen die Testierenden eine Bindungswirkung, sollte die „Wechselbezüglichkeit“ (§ 2270 BGB) bzw. „Vertragsmäßigkeit“ (§ 2278 BGB) einschließlich ihres Umfangs ausdrücklich festgelegt werden. Ist hingegen eine spätere Anpassung der Verfügung von Todes wegen gewollt (z.B. für den Fall der Wiederheirat oder der Geltendmachung des Pflichtteils im ersten Erbfall), stehen dem Berater verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung:

Aufnahme eines freien oder bedingten postmortalen Widerrufsrechts: Dieses muss entsprechend § 2297 BGB durch Errichtung eines neuen Testaments ausgeübt werden (OLG Hamm, NJW-RR 1996, 1095);

Einräumung eines Änderungsvorbehalts (sinnvoll kann etwa die Befugnis des Letztversterbenden sein, im Rahmen der Schlusserbeneinsetzung die Quoten der dort Bedachten zu verändern oder andere, nahe stehende Personen einzusetzen);

beim Erbvertrag bietet sich ein freier, bedingter oder befristeter Rücktrittsvorbehalt (§ 2293 BGB) an (z. B. für den Fall, dass Unterhaltszahlungen an den Erblasser ausbleiben).

IV. Beratung des Gebundenen
Der überlebende Ehegatte oder der Erbvertragspartner kann nur sehr eingeschränkt seine frühere Verfügung von Todes wegen korrigieren:

Neue Verfügungen, die lediglich eine Besserstellung des Bedachten bewirken, sind möglich.

Beim gemeinschaftlichen Testament kann sich der Überlebende durch Ausschlagung des ihm Zugewendeten von der Bindungswirkung befreien (§ 2271 II 1 BGB). Erfolgt die Zuwendung mittels Erbeinsetzung, muss diese form- und fristgemäß ausgeschlagen werden (§§ 1944, 1945 BGB); bei einem Vermächtnis ist dagegen die Ausschlagung form- und fristlos möglich (§ 2180 BGB).

Bei Verfehlungen des Bedachten kommt eine Aufhebung der Verfügung von Todes in Betracht (§ 2294 BGB; § 2271 II 2 BGB). Ferner kann der überlebende Ehegatte pflichtteilsberechtigte Abkömmlinge zu deren Schutz beschränken (§ 2271 III BGB). Die Aufhebung oder Beschränkung muss in der Form des § 2336 BGB durch letztwillige Verfügung erfolgen.

Ein Erbvertrag kann zu Lebzeiten nicht widerrufen werden. Deshalb ist für den Erblasser bei Irrtum oder Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten eine Anfechtung möglich (§§ 2281, 2078, 2079 BGB). Die Erklärung hat binnen Jahresfrist (§ 2283 BGB) und formgebunden (§ 2282 BGB) zu erfolgen.

Beim gemeinschaftlichen Testament gilt dieses Selbstanfechtungsrecht analog § 2281 BGB nach dem Tod des Erstversterbenden (etwa wenn der Überlebende wieder heiratet, ein weiteres Kind bekommt oder annimmt). Dritte Personen (z.B. der neue Ehegatte oder ein adoptiertes Kind) können gem. § 2280 BGB anfechtungsberechtigt sein.

V. Fazit
Die Anpassung einer bindenden Verfügung von Todes wegen an veränderte Umstände ist nur in wenigen Ausnahmefällen regelmäßig nur form- und fristgebunden möglich. Der Berater sollte deshalb die Testierenden auf die oft unerwünschten Konsequenzen der Bindungswirkung hinweisen und Gestaltungsalternativen aufzeigen.

(Rechtsanwalt Bernhard F. Klinger, München, und Rechtsanwältin Stefanie Scheuber, Nürnberg)

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