Alzheimerdemenz und Testierfähigkeit
Auch ein notarielles Testament kann wegen Testierunfähigkeit aufgrund einer Demenzerkrankung unwirksam sein
Auch bei einigen notariellen Testamenten besteht der Verdacht, dass der Erblasser bereits bei Errichtung des Testament testierunfähig war. Die vielfach von Notaren verwendete Klausel, dass er sich durch ein längeres Gespräch von der Testierfähigkeit überzeugt habe, hindert eine gegenteilige Feststellung durch ein Gericht nicht, wie das OLG Hamm ausdrücklich bestätigte.
Auch ein notarielles Testament kann wegen Testierunfähigkeit aufgrund einer Demenzerkrankung unwirksam sein.
(Urteil OLG Hamm v. 13.7.2017, 10 U 76/16)
In dem dort entschiedenen Fall wurden die beiden Söhne der Erblasserin gemeinsam zu rechtlichen Betreuern in Vermögensangelegenheiten ernannt. Grund dafür war die bei der Erblasserin festgestellte fortgeschrittene Alzheimerdemenzerkrankung. Einer der Söhne starb Anfang 2007 und hinterließ Frau und eine Adoptivtochter. Daraufhin wurde der zweite Sohn am 14.3.2007 zum alleinigen rechtlichen Betreuer ernannt. Nur wenige Tage danach, am 23.3.2007, errichtete die Erblasserin ein notarielles Testament, in dem sie diesen Sohn zum alleinigen Erben einsetzte. Der Notar stellte bei der Beurkundung keine Auffälligkeiten im Verhalten der Erblasserin fest. Die Erblasserin starb 2013. Die Adoptivtochter erhob Klage, und das OLG Hamm hatte zu entscheiden, ob die Erblasserin bei der Errichtung des Testaments testierfähig war und der Sohn zu Recht Alleinerbe wurde.
Besonders deutlich hebt das OLG in seiner Entscheidung hervor, dass es auf eine allgemeine Einschätzung des Notars nicht ankomme. In den Gründen führt es aus:
"... auch die Aussagen der Notare D und Dr. C2 stehen dem gewonnenen Beweisergebnis nicht entgegen. Die Aussage des Notars D, der das Testament und zwei Schenkungsverträge beurkundet hat, ist schon deshalb unergiebig, weil er keine konkrete Erinnerung an die Erblasserin hatte und nur allgemein bekunden konnte, dass – weil er nichts Anderweitiges vermerkt habe – der Zustand der Erblasserin wohl unauffällig gewesen sein müsse ... Auch zum Zustandekommen und Inhalt des Testaments konnte der Zeuge D nichts Konkretes erinnern. Insbesondere vermochte er nicht zu erklären, warum in dem von ihm beurkundeten Testament eine Klausel zum Ausschluss des Anfechtungsrecht gem. § 2079 BGB aufgenommen worden ist, obwohl doch – so die Erklärung des Beklagten im Senatstermin - mit der Erblasserin über die Adoption der Klägerin und damit über ihr gesetzliches Erbrecht gar nicht gesprochen worden sein soll.
Soweit der in erster Instanz als Zeuge vernommene Notar Dr. C2, der den Schenkungsvertrag am 23.05.2008 und einen Darlehensvertrag am 15.01.2009 im Pflegeheim beurkundet hat, ausgesagt hat, er habe sich „aufgrund eines längeren Gesprächs über die Geschäftsfähigkeit“ der Erblasserin selbst überzeugt, ist zu berücksichtigen, dass es sich bei einem Notar nicht um einen Universalgelehrten handelt, der nach seiner Ausbildung fähig ist, den Geisteszustand einer Person auch bei langjähriger Erfahrung im Notariat sicher zu beurteilen.
Hinzukommt, dass bei einer Demenzerkrankung im fortgeschrittenen Stadium der Betroffene für einen medizinischen Laien noch geistig klar und orientiert wirken und nach außen noch eine intakte Fassade aufweisen und damit unauffällig erscheinen kann.
... Das bedeutet, dass bei der Erblasserin trotz ihrer fortgeschrittenen Demenzerkrankung eine Fassade für Außenstehende aufrecht erhalten war, weil bestimmte Dinge ein Leben lang so gemacht worden und insoweit eingeübt waren. Die Erblasserin konnte sagen, was sie wollte, so wie hier, dass sie ihren einzig verbliebenden Sohn begünstigen wollte. Eine solche Fassade ändert aber nichts daran, dass die Erblasserin nicht mehr fähig gewesen war, die vom Notar beurkundeten Rechtsgeschäfte in ihrer Bedeutung und Tragweite zu erfassen und das Für und Wider einer Entscheidung sachgerecht abzuwägen.
Im Übrigen steht der Eindruck des Notars Dr. C2 bei seinen Beurkundungen am 23.05.2008 und 15.01.2009 in Widerspruch zu dem Inhalt eines im selben Zeitraum gefertigten Protokoll des Rechtspflegers A, der die Erblasserin am 10.10.2008 persönlich im Rahmen des Betreuungsverfahrens angehört hat. Damals ging es um die Frage, ob das Mehrfamilienhaus in V verkauft werden sollte. Nach dem unmittelbar nach der Anhörung im Pflegeheim gefertigten Protokoll soll die Erblasserin den Sinn und Zweck dieses Besuchs nicht verstanden haben. Während eines ca. 15-minütigen Gesprächs habe ihr mindestens 8-mal erklärt werden müssen, wer er sei, woher er komme und woher er das alles wisse. Nach diesem Protokoll soll die Erblasserin noch nicht einmal mitbekommen haben, dass einer ihrer Söhne damals bereits verstorben und damit nicht mehr ihr Betreuer gewesen sei (vgl. AG KAMEN, 10 XVII 395/04, Bl.162).
Nach § 2229 IV BGB ist eine Person testierunfähig, die wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörung nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihr abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Es kommt darauf an, ob es der Erblasserin noch möglich war, sich an Sachverhalte und Ereignisse zu erinnern, Informationen aufzunehmen, Zusammenhänge zu erfassen und eine Abwägung des Für und Widers sachgerecht vorzunehmen. Diese Fähigkeiten hatte die Erblasserin bereits 2004 verloren."
NDEEX-Expertenrat
Andreas Wolff, Fachanwalt für Erbrecht in Mannheim, rät deshalb: „Auch dann, wenn in einem notariellen Testament vermerkt ist, dass der Notar ...sich aufgrund eines längeren Gesprächs von der Geschäftsfähigkeit überzeugt habe, bedeutet dies keine unwiderlegbare Feststellung.
Wenn es Anhaltspunkte für eine Testierunfähigkeit im Zeitpunkt der Testamentserrictung gibt, dann sollte diesen Anhaltspunkten genauso nachgegangen werden wie bei einem handschriftlichen Testament.
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