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25.06.2019
Auslegung von Testamenten

Mittel und Wege der Auslegung

Fast täglich entscheiden Gerichte an Hand von Testamenten erbrechtliche Sachverhalte. Dazu sind letztwillige Verfügungen, vor allem Testamente, die ohne fachliche Unterstützung selbst geschrieben wurden, aus Sicht des Richters auszulegen. Er alleine entscheidet letztendlich, wie man ein Testament "liest", wenn Unklarheiten bestehen. Für diese Auslegung haben sich Leitlinien herausgebildet, an denen sich das Gericht "entlanghangeln" kann.  Nicht nur das Testament selbst dient als Auslegungskriterium, es bildet vielmehr nur den ersten Anknüpfungspunkt. Auch Umstände und Unterlagen des Verstorbenen, die auf den ersten Blick gar nichts mit dem Testament zu tun haben, müssen zur Ermittlung des wahren Erblasserwillens herangezogen werden. Unser Mitglied, Erbrechtsexperte und Fachanwalt für Erbrecht Wolfgang Roth aus Obrigheim, gibt einen Überblick über diese schwierige Thematik des Erbrechts.

Auslegungsbedarf mehrdeutiger Verfügungen

Ist eine letztwillige Verfügung mehrdeutig, muss durch Auslegung ermittelt werden, welche Rechtswirkungen der Verstorbene mit seinem Testament letztendlich erreichen wollte. Dazu ist immer zunächst auf dessen Vorstellungen zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments abzustellen.

Dabei kommt es auf den wirklichen Willen des Erblassers an, nicht auf den "buchstäblichen Sinn" des im Testament verwendeten Ausdrucks bzw. der Wortwahl des Testierenden, wie der Bundesgerichtshof bereits mehrfach entschieden hat. Hat der Testierende juristischer Fachbegriffe verwendet, wie zum Beispiel "Nacherbe" oder "Vermächtnis", kann er in Wirklichkeit damit einen ganz anderen Sinn verbunden haben, den es zu ermitteln und dann umzusetzen gilt.

Der Wortlaut der letztwilligen Verfügung ist  aus diesem Grund nur der erste Anknüpfungspunkt für die Auslegung, der jedoch nicht bindend ist; es kommt entscheidend und alleine darauf an, was der Erblasser mit seinen Worten ausdrücken wollte. Selbst wenn ein Notar ein Testament verfasst hat, muss dies nicht hundertprozentig dem Willen des Verstorbenen entsprechen, weshalb auch ein notariell verfasstes Testament ausgelegt werden kann; das hat nicht zuletzt das Oberlandesgericht München entschieden. Bei jeder Auslegung können auch Umstände außerhalb des Testaments herangezogen und gewürdigt werden.

Umstände außerhalb des Testaments

Zur Auslegung müssen alle außerhalb des Testaments liegenden Umstände vom Gericht ausgewertet werden, um den Erblasserwillen zu ermitteln. Diese müssen dem Gericht im Rahmen von Beweisangeboten natürlich im Gerichtsprozess vorgetragen werden. Vorrangig sind zeitlich vor der Testamentserrichtung liegende Umstände heranzuziehen, insbesondere das Verhalten, Äußerungen und Handlungen des Erblassers. Selbst der Bildungsgrad des Verstorbenen kann als Auslegungsmittel dienen, wie das Thüringer Oberlandesgericht in Jena jüngst ausgeurteilt hat.

Zeitlich nach der Testamentserrichtung eingetretene Umstände sind für die Auslegung und Ermittlung des Erblasserwillens dann maßgeblich, wenn sie Rückschlüsse auf den Erblasserwillen zum Zeitpunkt seiner Testamentserrichtung hergeben. 

Einzelne Auslegungsumstände

Die Rechtsprechung hat eine Vielzahl von außerhalb der Testamentsurkunde liegenden Umständen als Auslegungsmittel zugelassen, beispielsweise:

  • Die Zusammensetzung, Herkunft und Höhe des Vermögens des Verstorbenen
  • Die persönliche Beziehung des Verstorbenen zu den im Testament Begünstigten oder Enterbten
  • Vermögensverhältnisse, Alter und berufliche Stellung der per Testament Begünstigten
  • Die äußere Gestaltung des Testaments
  • Bereits vorgenommene lebzeitige Begünstigung der Erben durch den Erblasser 
  • Eigene juristische Sachkunde des Erblassers 
  • Sonstige Schriftstücke des Erblassers:

Lassen Schriftstücke des Erblassers Rückschlüsse auf dessen Willen zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung zu, können auch sie als Auslegungshilfe dienen, ja sogar formunwirksame, früher verfasste oder durchgestrichene Testamente, unwirksame Testamentszusätze oder andere Schriftstücke können hierfür ausgewertet werden; so akzeptiert beispielsweise das Oberlandesgericht Stuttgart, dass auch ein reiner Testamentsentwurf für die Auslegung des später verfassten Testaments dienen kann.

Dies ist nur ein kleiner Ausschnitt möglicher Auslegungshilfen, so dass in jedem einzelnen Fall gesondert entschieden werden muss, ob es weitere Ansatzpunkte und Mittel gibt, die für die Ermittlung des tatsächlichen Willen des Verstorbenen genutzt werden können.

Fazit des Fachanwalts für Erbrecht Wolfgang Roth

Die Auslegung von Testamenten spielt in der erbrechtlichen  Praxis eine nicht zu unterschätzende Rolle, sowohl für den Rechtsanwender als auch für die Gerichte. Die Grundsätze der Auslegung, die sogenannte Andeutungstheorie, die Möglichkeiten der von der Rechtsprechung entwickelten "allgemeinen", "ergänzenden" und der "wohlwollenden" Auslegung gehören daher zum Handwerkszeug eines jeden Erbrechtspraktikers.

Die Mitglieder des Netzwerks Deutscher Erbrechtsexperten stehen Ihnen zur Seite, sofern Sie nach dem Tod eines Angehörigen darauf angewiesen sein sollten, dessen Testament auslegen zu müssen, um den wahren Willen des Verstorbenen zu ermitteln - notfalls auch in einem Gerichtsverfahren oder bei der Erlangung eines Erbscheins.



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