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13.10.2006

Das Herausgabevermächtnis - Alternative zur befreiten Vorerbschaft

Von Rechtsanwalt Bernhard F. Klinger, München
und Rechtsanwältin Stefanie Scheuber, Nürnberg

Manche Erblasser möchten das Schicksal ihres Nachlasses über den Tod des Erben hinaus testamentarisch bestimmen. Klassisches Gestaltungsmittel hierfür ist die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft. Eine sinnvolle Alternative stellt die Anordnung eines Herausgabevermächtnisses auf den Tod des Erben dar.

I. Typische Fallgruppen in der Gestaltungspraxis
Geschiedene Ehegatten wollen in der Regel verhindern, dass der „Ex-Ehepartner“ über die gemeinsamen Kinder in den Genuss des Nachlasses kommt. In der Gestaltungspraxis werden hierzu regelmäßig die ehegemeinschaftlichen Kinder als Vorerben und sonstige Verwandte des Geschiedenen als Nacherben eingesetzt (Muster bei Tanck/Krug/Daragan, Testamente, 3. Aufl., 2006, § 21, Rdnr. 120).

Nicht wenige Geschiedene oder Verwitwete gehen eine neue Partnerschaft ein. In der Regel soll der neue Lebensgefährte bzw. Ehepartner zu Lebzeiten über den Nachlass verfügen können. Nicht immer aber wünscht der Erblasser, dass nach dem Tod seines Partners das vererbte Vermögen an dessen Kinder oder sonstige Verwandte fällt. Auch hier bietet sich die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft an.

Erblasser mit „Problemkindern“ oder ungeliebten Schwiegerkindern möchten oft sicherstellen, dass ihr Nachlass im Familienstamm bleibt. Hierzu können die Kinder als Vorerben und sonstige Blutsverwandte, z.B. die Enkel als Nacherben bestimmt werden.

II. Nachteile der Vorerbschaft
Der Vorerbe wird in seiner Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis durch die §§ 2113 ff. BGB erheblich beschränkt und unterliegt umfassenden Sicherungs- und Kontrollrechten des Nacherben (vgl. dazu Becker/Klinger, NJW-Spezial 2005, 205, 445). Manche Erblasser wollen dem Vorerben diese eingeengte Handlungsfreiheit nicht zumuten und ihn über das Schicksal des Nachlasses völlig frei entscheiden lassen. Wegen § 2336 BGB unterliegt aber auch der „befreite“ Vorerbe zwingend dem Schenkungsverbot (§ 2113 II BGB), dem Surrogationsprinzip (§ 2111 BGB), der Inventarisierungspflicht (§§ 2121, 2122 II BGB) und der Schadensersatzpflicht (§ 2138 II BGB). Diese Nachteile der befreiten Vorerbschaft können durch die Anordnung eines Herausgabevermächtnisses auf den Tod des Erben vermieden werden.

III. Gestaltung des Herausgabevermächtnisses
Der Erblasser beschwert seinen Erben (in obigen Fallgruppen also die ehegemeinschaftlichen Kinder oder den neuen Partner) mit einem Herausgabevermächtnis dergestalt, dass diejenigen Vermögenswerte, die aus seinem Nachlass stammen, an einen bestimmten Vermächtnisnehmer (z.B. den eigenen Verwandten) herauszugeben sind. Bei der Gestaltung des Herausgabevermächtnisses sind dem Einzelfall angepasste Bedingungen oder Befristungen (§ 2177 BGB) anzuordnen.

So kann etwa im Testament eines Geschiedenen in Form einer auflösenden Bedingung bestimmt werden, dass das Herausgabevermächtnis entfällt, wenn beim Tod des ehegemeinschaftlichen Kindes weder der Ex-Ehepartner noch dessen einseitige Verwandte Erbe des Kindes werden (Muster bei Kornexl, Nachlassplanung bei Problemkindern, 2006, Rdnr. 539).

Soll z.B. beim Tod eines Kindes der noch vorhandene restliche Nachlass im Familienstamm verbleiben, kann hierfür zugunsten der Enkelkinder ein auf den Tod des Kindes aufschiebend befristetes Herausgabevermächtnis angeordnet werden (Muster bei Langenfeld, Testamentsgestaltung, 3. Aufl., 2003, Rdnr. 271).

IV. Pflichtteilsfestigkeit des Vermächtnisses
Das Herausgabevermächtnis fällt bei einer auflösenden Bedingung sofort beim Tod des Erblassers an. Werden beim Ableben des Erben gegen dessen Nachlass Pflichtteilsansprüche geltend gemacht (z.B. vom anderen Elternteil eines ehegemeinschaftlichen Kindes), so mindert das Herausgabevermächtnis den pflichtteilsrelevanten Nachlass i.S. von § 2311 BGB. Probleme entstehen aber dann, wenn der Anfall des Vermächtnisses abweichend von § 2176 BGB erst mit dem Tod des Beschwerten eintreten soll. Der Vorrang des Herausgabevermächtnis gegenüber Pflichtteilsansprüchen ist dann unsicher (J. Mayer, Handbuch Pflichtteilsrecht, § 12, Rdnr. 27).

V. Störfallvorsorge beim Herausgabevermächtnis
Der Erblasser sollte das Rechtsverhältnis zwischen dem Erben und Vermächtnisnehmer umfassend gestalten (Einzelheiten bei Kornexl, Rdnrn. 536-538). Die Frage der Surrogation kann durch Bezug auf § 2111 BGB geregelt werden, da sonst die Gefahr besteht, dass der Erbe durch geschickte „Umschichtung“ in das eigene Vermögen die Anordnung des Herausgabevermächtnisses leer laufen lässt. Im Hinblick auf Substanzverluste bis zum Tod des Erben wird es regelmäßig dem Interesse des Erblassers entsprechen, die Ersatzpflicht aus §§ 2179, 160 I; 285 BGB auszuschließen. Gleiches gilt für die Nutzungsherausgabe gem. § 2184 BGB. Es handelt sich dann im Ergebnis um ein Herausgabevermächtnis „auf den Überrest“ (Kornexl, Rdnr. 538).
Aufwendungsersatzansprüche des Erben gem. § 2185 BGB i.V. mit §§ 994 ff. BGB sollte der Erblasser ausschließen, soweit sie den Wert des Vermächtnisgegenstandes beim Tod des Erben nicht mehr erhöhen. Zu regeln ist auch die Frage, wer bis zum Eintritt des entsprechenden Ereignisses angefallene Verbindlichkeiten übernimmt. Ansonsten würden nämlich die Schulden beim Erben, gegebenenfalls dessen Erbeserben, verbleiben.

VI. Erbschaftsteuerliche Auswirkungen des Herausgabevermächtnisses
Die Vor- und Nacherbfolge ist erbschaftsteuerlich in der Regel wenig vorteilhaft: Das Vermögen des Erblassers unterliegt sowohl beim Erbfall als auch beim Nacherbfall der Erbschaftsteuer (§§ 3 I Nr. 1; 6 I ErbStG). Vermächtnisse, die erst beim Tod des Beschwerten fällig werden, sind gem. § 6 IV ErbStG den Nacherbschaften gleichgestellt; in dieser Gestaltungsform bietet das Herausgabevermächtnis also keinen Vorteil gegenüber der Vor- und Nacherbschaft. Dagegen werden aufschiebend bedingte Vermächtnisse, die nicht mit dem Tod des Beschwerten, sondern mit Eintritt eines anderen Ereignisses entstehen, von § 6 IV ErbStG nicht erfasst. Der Erwerb ist hier allein steuerpflichtig im Verhältnis zum Erblasser.

VII. Fazit
Das Herausgabevermächtnis ist ein Gestaltungsinstrument, das die strikten häufig als negativ empfundenen Rechtsfolgen der Vor- und Nacherbschaft vermeidet. Die testamentarischen Regelungen müssen aber wegen der geringen gesetzlichen Regelungsdichte präzise auf die Wünsche des Testierenden zugeschnitten werden.

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