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23.10.2006

Pflichtteilsklausel und Anwaltshaftung

Bei einem Berliner Testament mit Verwirkungsklausel kann der Eintritt der auflösenden Bedingung auch nach dem Tod des längstlebenden Ehegatten, nach Annahme der Schlusserbschaft und nach Verjährung des Pflichtteilsanspruchs nach dem Erstversterbenden herbeigeführt werden.

Ein Mandat nimmt seinen Anwalt auf Schadensersatz wegen anwaltlicher Pflichtverletzung in Anspruch. Die Eltern des Mandanten hatten in einem Berliner Testament ihre beiden Kinder (den Kläger und seinen Bruder) zu gleichen Teilen als Schlusserben eingesetzt und in einem Zusatztestament folgende Pflichtteilsklausel angeordnet: „Verlangt nach dem Tod des Erstversterbenden von uns eines unserer Kinder den Pflichtteil, so erhält es auch nach dem Tod des Letztversterbenden von uns nur den Pflichtteil.“

Nach dem Tod des Vaters machen beide Kinder zunächst keine Pflichtteilsansprüche geltend. Beim Ableben der Mutter wurde auf Antrag des Klägers ein Erbschein erteilt, der beide Söhne als Miterben ausweist. Da im Berliner Testament ein Vorausvermächtnis zu Gunsten des Bruders enthalten war, hat der Kläger auf Anraten seines Anwalts die Anfechtung der Erbschaftsannahme erklärt, um so die wirtschaftlich günstigere Geltendmachung des Pflichtteils nach der Mutter zu ermöglichen. Mangels Anfechtungsgrundes blieb diese Anfechtung ebenso erfolglos wie die gegen den Bruder erhobene Klage auf Pflichtteilszahlung nach dem Vater und der Mutter.

Der klagende Mandant wirft seinem Anwalt vor, ihn nicht darauf hingewiesen zu haben, den – inzwischen verjährten – Pflichtteilsanspruch nach seinem Vater zu fordern. Das OLG Karlsruhe hatte die Klage abgewiesen, weil eine Haftung des Anwalts daran scheitere, dass der behauptete Beratungsfehler folgenlos geblieben sei: Mit der Annahme der Erbschaft nach der Mutter sei der Kläger endgültig Schlusserbe geworden und habe deshalb den Pflichtteil nach dem Vater nicht mehr beanspruchen und darum seine Erbenstellung nach der Mutter über die Pflichtteilsklausel nicht mehr beseitigen können.

Der BGH schloss sich der Auffassung des Berufungsgerichts nicht an: Es sei zwar zutreffend, dass die Eltern ihre beiden Kinder auf Grund der Pflichtteilsklausel auflösend bedingt als Schlusserben eingesetzt haben (BayObLG, NJW-RR 2004, 654). Der Kläger ist aber nach Annahme der Erbschaft nicht daran gehindert gewesen, durch Verlangen des Pflichtteils nach dem Vater noch die Wirkungen dieser Pflichtteilsklausel auszulösen, dadurch seine Schlusserbenstellung zu beseitigen und schließlich auch den Pflichtteil nach der Mutter zu verlangen.

Der Eintritt der auflösenden Bedingung kann auch nach dem Tod des überlebenden Ehegatten eintreten (BGH, NJW-RR 2005, 369 = ZEV 2005, 117). Die Annahme der Erbschaft nach der Mutter hatte auf den Pflichtteilsanspruch nach dem Vater keinen Einfluss. Es handelt sich um zwei gesonderte Erbfälle, die getrennte erbrechtliche Konsequenzen haben – hier Pflichtteilsanspruch, dort Miterbschaft (BGH, NJW 1983, 2875). Besondere Umstände, die ausnahmsweise auf einen konkludenten Verzicht auf den Pflichtteilsanspruch nach dem Vater durch die Erbschaftsannahme hindeuten könnten, sind nicht ersichtlich. Die inzwischen eingetretene Verjährung des Pflichtteilsanspruchs nach dem Vater steht für sich genommen dem Eintritt der auflösenden Bedingung nicht entgegen (Muscheler, ZEV 2001, 377). Sie berechtigt nur zur Leistungsverweigerung, berührt aber nicht den Bestand des Anspruchs (§ 214 I BGB). Der BGH konnte über den geltend gemachten Schadensersatzanspruch nicht abschließend entscheiden und hat an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Praxishinweis: Der BGH stellt in seinem Urteil fest, dass es für einen gewissenhaften und erfahrenen Anwalt auf der Hand lag, dass er bei der Suche nach dem wirtschaftlich erfolgreichsten Weg auf den Pflichtteilsanspruch nach dem Vater und die Möglichkeit der Verwirkungsklausel hinweist und den Mandanten über die damit verbundenen Chancen und Risiken berät.

(BGH, Urteil vom 12.7.2006 – IV ZR 298/03 = NJW 2006, 3064)


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