nach oben
20.2.2008

Behindertentestament und Erbausschlagung durch den Betreuer


Das klassische Behindertentestament rückt aufgrund einer Vielzahl jüngerer Entscheidungen aus dem sozi-al(hilfe-)rechtlichen Bereich verstärkt in den Fokus. Der Betreuer steht in der Regel vor der Frage, ob er für den Behinderten den belasteten Erbteil nach § 2306 I 2 BGB ausschlägt und den Pflichtteil fordert.

Behinderte Sozialhilfeempfänger müssen ererbtes Ver-mögen für den Lebensunterhalt einsetzen (§ 2 SGB XII). Gleiches gilt für Pflichtteilsansprüche, die der So-zialleistungsträger auch dann auf sich überleiten kann (§ 93 I 4 SGB XII), wenn der enterbte Behinderte den Pflichtteil selbst nicht geltend gemacht hat (BGH, NJW-RR 2005, 369).

In einem „klassischen“ Behindertentes-tament setzen die Eltern das geistig behinderte Kind als Vorerben ein; Nacherbe ist ein Familienangehöriger. Ferner ordnen sie Dauertestamentsvollstreckung für den Erbteil des Behinderten an. Dadurch wird der Sozialbehörde ein Zugriff auf den Nachlass des Betroffenen verwehrt (§§ 2115, 2214 BGB).

Der Testamentsvollstrecker wird gem. § 2216 II BGB angewiesen, dem Behinderten aus dem Nachlass Leistungen zukommen zu las-sen, die unter dem Schonvermögen (§ 90 II SGB XII) liegen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes bestehen gegen diese Konstruktion grundsätzlich keine rechtliche Bedenken (vgl. dazu Pa-landt/Heinrichs, BGB, 67. Auflage 2008, § 138 BGB Rdnr. 50a; zur Vermeidung typischer Gestaltungsfehler vgl. Klinger/Ruby, NJW-Spezial 2006, 109).

Die Erblasserin hatte in dem vom OLG Köln zu ent-scheidenden Fall eine im Heim und von Sozialhilfe le-bende Tochter durch ein „Behindertentestament“ als nicht befreite Vorerbin und ihren Sohn zum Nacherben eingesetzt. Der Sohn war Betreuer seiner Schwester. Die Erblasserin wies den Sohn testamentarisch an, das Nachlassvermögen in seinem Stamm zu erhalten und aus dessen Reinerträgen der behinderten Schwester Geldbeträge zuzuwenden. Der bestellte Ergänzungsbe-treuer wollte die Erbschaft für die Betreute ausschlagen und den Pflichtteil geltend machen. Dadurch wären für ca. 2 Jahre die Kosten der Heimunterbringung aus Eigenmitteln gedeckt gewesen. Das OLG Köln verweigerte aber die Genehmigung der Ausschlagung. Nach Auffassung des Senats entspricht es bei der gegebenen Ges-taltung des Testaments den Interessen der Betreuten am besten, den Stamm des ihr als nicht befreite Vorerbin zustehenden Vermögens zu erhalten und aus seinem Ertrag in der in der letztwilligen Verfügung vorgesehenen Weise die im Einzelnen genannten Zuwendungen an sie zu bestreiten. Dadurch wird gewährleistet, dass der Betreuten dauerhaft Mittel zufließen, die ihr bei einer Ausschlagung der Erbschaft nicht zur Verfügung stünden.

Die Umsetzung des letzten Willens ist nicht allein vom Ermessen des Betreuers abhängig. Laut Testament ist er vielmehr angewiesen, die anfallenden Reinerträge im Interesse der Betreuten einzusetzen. Für die Betreute liegt auch kein sachlicher Vorteil darin, für einen über-schaubaren Zeitraum die Kosten für die Heimunterbringung aus eigenen Mitteln aufbringen zu können. Für sie macht es keinen Unterschied, ob diese Kosten aus ihrem Pflichtteil aufgebracht oder vom Träger der Sozialhilfe getragen werden.

Bei der Entscheidung, ob ausgeschlagen werden darf oder nicht, sind öffentliche Belange nicht zu berücksichtigen; bei der Abwägung der Vor- und Nachteile einer Genehmigung zur Ausschlagung kommt es allein auf die Interessen der Betreuten an.

Praxistipp: Nach der Entscheidung des OLG Köln kommt es für die Frage der Erbschaftsausschlagung allein auf die Interessenlage des Betreuten an. Die Entscheidung ist sowohl für (Ergänzungs-)Betreuer als auch Vormundschaftsgerichte, die Erbschaftsausschlagungen genehmigen sollen, von Bedeutung

(zur Frage der Ausschlagung der Erbschaft im Betreuungsrecht Roth, Erbrecht und Betreuungsfall, Kap. B. I). Höchstrichterlich noch immer ungeklärt ist die Frage, ob auch der Sozialhilfeträger selbst anstelle des erbrechtlich eingesetzten Behinderten die Erbschaft ausschlagen kann, um so an den Pflichtteil zu gelangen

OLG Köln, Beschluss vom 29.06.2007 – 16 Wx 112/07 = BeckRS 2008, 00582


← zurück
Netzwerk Deutscher Testamentsvollstrecker e.V. Erbrechtsmediation Erbrechtsakademie