nach oben
06.05.2015
Patientenverfügung - Tötungsversuch - Erbunwürdigkeit

Behandlungsabbruch ohne Patientenverfügung führt zur Erbunwürdigkeit

Der Bundesgerichtshof hat die Frage entschieden, ob ein Ehegatte, der den anderen ohne Vorliegen einer Patientenverfügung  zu töten versucht, erbunwürdig ist. Fachanwalt für Erbrecht Wolfgang Roth aus Obrigheim erläutert den tragischen Fall, der zur Entscheidung anstand.

Der Sachverhalt des Bundesgerichtshofs:

Die Erblasserin erkrankte 1997 an Alzheimer und wurde 2002 in ein Alten- und Pflegeheim verlegt. Ab 2003 erhielt sie eine Magensonde, über die sie künstlich ernährt wurde. Ihr Krankenzimmer konnte sie nicht mehr verlassen und mit ihr zu sprechen war ebenfalls nicht mehr möglich. Ihr Ehemann wurde zu ihrem Betreuer bestellt. Im Februar 2012 schnitt er mit einer Schere den Verbindungsschlauch zur Magensonde seiner Ehefrau und untersagte eine erneute Anbringung, als das Pflegepersonal sein Tun entdeckte. Die Verbindung konnte repariert werden, allerdings verstarb seine Frau einen Monat später an einer später aufgetretenen Lungenentzündung. Der Ehemann war depressiv und hatte bereits einen Selbstmordversuch hinter sich. Wegen versuchten Totschlags in einem minderschweren Fall (§ 213 Strafgesetzbuch) wurde er zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung verurteilt.

Die Verstorbene hinterließ drei Kinder. Einer der Söhne klagte auf Feststellung der Erbunwürdigkeit seines Vaters, der auf Grund eines Ehegattentestaments zum Alleinerben der verstorbenen Mutter eingesetzt war. Das Landgericht gab der Klage statt. Das Berufungsgericht versagte hingegen der Klage den Erfolg. Der Bundesgerichtshof erklärt die Revision für begründet und verweist das Verfahren an das Berufungsgericht zurück.

Die rechtlichen Überlegungen des Bundesgerichtshofs:

Das Anfechtungsrecht steht dem Sohn zu, denn ihm käme der Wegfall des Erbunwürdigen zustatten. Erbunwürdigkeit hat die Konsequenz, dass der Anfall der Erbschaft an den Erbunwürdigen als nicht erfolgt gilt, § 2344 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Die Erbschaft fällt demjenigen an, der berufen wäre, wenn der Erbunwürdige (der Vater) zur Zeit des Erbfalls nicht gelebt hätte, was auf den Kläger zutrifft. Ein vom Sohn zunächst geltend gemachter Pflichtteilsanspruch hindert dies nicht, auch wenn im Testament eine Pflichtteilsstrafklausel vorhanden ist. Die Pflichtteilsstrafklausel setzt voraus, dass der überlebende Ehegatte Vollerbe wird und ihm gegenüber Pflichtteilsansprüche angemeldet werden. Ist die Erbunwürdigkeitsklage jedoch erfolgreich, wird der überlebende Ehegatte zu keiner Zeit Erbe, so dass Sinn und Zweck einer Pflichtteilsstrafklausel, nämlich dem überlebenden Ehepartner den Nachlass ungeschmälert zu erhalten, gar nicht eingreifen kann.

Der Grund der Erbunwürdigkeit des § 2339 Absatz 1 Satz 1 BGB umfasst auch den Fall der versuchten vorsätzlichen Tötung in einem minderschweren Fall (§§ 212, 213, 21, 22, 23 StGB). Die Fälle des § 216 StGB (Tötung auf Verlangen) scheiden hingegen aus, denn die Tötung auf Verlangen ist wie eine Verzeihung zu behandeln. Ein ausdrückliches oder mutmaßliches Einverständnis der Erblasserin am Durchtrennen der Sonde besteht nicht, wie das Strafurteil bereits feststellte. Dieses Urteil bindet zwar den Richter im Zivilverfahren nicht, jedoch muss sich jener mit den Feststellungen im Strafurteil auseinandersetzen, die für seine eigene Würdigung entscheidend sind. Ein zulässiger Abbruch der lebenserhaltenden Maßnahmen fehlt, da eine Patientenverfügung nicht vorliegt. Will der Betreuer den Abbruch der künstlichen Ernährung eines einwilligungsunfähigen Betroffenen herbeiführen, bedarf er in dieser Lage der Genehmigung des Betreuungsgerichts. Eine solche Genehmigung wurde nicht einmal beantragt.

Auf die – mitunter menschlich billigenswerten – Motive des Erbunwürdigen bei seiner Tat kommt es nicht an. § 2339 Absatz 1 BGB ist insoweit nicht einschränkend auszulegen. Der Gesetzeszweck, eine erbrechtliche Sanktion auf schwerstes vorsätzlich begangenes Handlungsunrecht, das es als unerträglich erscheinen ließe, wenn der Nachlass des Opfers auf den Täter überginge, ist gegeben. Auch wenn sich der Täter in einer persönlich sehr schweren Situation befindet, gibt ihm das nicht das Recht, einseitig die lebenserhaltenden Maßnahmen für die Erblasserin abzubrechen, um deren Tod herbei zu führen. Da das Berufungsgericht diese Aspekte fehlerhaft gewürdigt hat, verweist der BGH das Verfahren mit dem zusätzlichen Hinweis an das Oberlandesgericht zurück, dass auch die Frage der Schuldfähigkeit des Erbunwürdigen zu klären sein wird. Dieser hatte sich auf seine Unzurechnungsfähigkeit ausdrücklich berufen; wenn dies zutreffen sollte, entfällt wiederum die Erbunwürdigkeit.

Praxishinweis: Der menschlich tragische Fall zeigt einmal mehr, wie wichtig die vom Gesetzgeber eingeführte Möglichkeit, eine Patientenverfügung zu errichten, ist. Hiervon sollte Gebrauch gemacht werden, um Familiendramen, wie das vorliegende, zu vermeiden. Versucht ein Erbe, einen seit Jahren geschäftsunfähigen Ehegatten zu töten, tritt Erbunwürdigkeit ein, wenn der Erblasser weder eine Patientenverfügung hinterlassen hat, noch eine Tötung auf Verlangen vorliegt, eine gerichtliche Genehmigung zum Abbruch der Behandlung nicht eingeholt wurde und der Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen nicht dem (mutmaßlichen) Erblasserwillen entspricht. Dies gibt der Bundesgerichtshof nun vor, worauf Fachanwalt für Erbrecht Wolfgang Roth aus Obrigheim hinweist.

Fundstelle: BGH, Urteil vom 11.03.2015 – IV ZR 400/14 



← zurück
Netzwerk Deutscher Testamentsvollstrecker e.V. Erbrechtsmediation Erbrechtsakademie