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20.07.2015
Pflichtteil, Wertermittlung, Miteigentum

Wert eines Miteigentumsanteils im Pflichtteilsrecht

Die Höhe des Pflichtteilsanspruchs richtet sich nach dem Bestand und den Wert des Nachlasses zum Zeitpunkt des Erbfalls. Nachträgliche Wertsteigerungen oder -minderungen bleiben gem. § 2311 Abs. 1 BGB außer Betracht. Nachlassgrundstücke werden mit dem Verkehrswert angesetzt (also mit dem auf dem freien Markt erzielbaren Geldwert). Der steuerliche Wert ist ohne Bedeutung für die Pflichtteilsberechnung.

  • Für das selbst genutzte Einfamilienhaus oder die selbst genutzte Eigentumswohnung wird für die Wertermittlung nach dem Sachwertverfahren vorgegangen, dass sich an den Herstellungskosten orientiert. Es muss also gefragt werden, was es heute kosten würde, dieses Haus oder diese Wohnung zu bauen. Danach ist dann das Alter des Hauses oder der Eigentumswohnung wertmindernd zu berücksichtigen.
  • Ein Mietshaus, das als Vermögensanlage zum Nachlass gehört, wird nach dem Ertragswertverfahren bewertet, das auf die erzielte Rendite (die eingehenden Mieten abzüglich Kosten) abstellt.
  • Bei unbebauten Grundstücken wird der Wert durch Vergleich der Kaufpreise für benachbarte Grundstücke ermittelt (sog. Bodenrichtwert).

 

Der BGH musste in seinem Urteil vom 13.05.2015 (IV ZR 138/14 = BeckRS 2015, 09893) über die Frage entscheiden, wie eine Immobilie zu bewerten ist, die nur zur Hälfte im Eigentum des Erblassers steht. Die andere Hälfte gehörte dem Lebensgefährten und späteren Alleinerben der Erblasserin.

Eine bestimmte Wertberechnungsmethode ist für die Ermittlung des Nachlasswertes im Gesetz nicht vorgeschrieben. Hat nach Eintritt des Erbfalls ein Verkauf nicht stattgefunden und fehlt es an einem gängigen Marktpreis für den Nachlassgegenstand, muss der Wert gem. § 2311 Abs. 2 S. 1 BGB geschätzt werden.

In der Literatur wird überwiegend die Auffassung vertreten, dass ein halber Miteigentumsanteil an einer eigengenutzten Immobilie in aller Regel nicht der halbe Verkehrswert des Grundstücks samt Gebäude sei, sondern ein deutlicher Wertabschlag vorzunehmen ist. Grund hierfür ist, dass für solche Miteigentumsanteile praktisch kein Markt existiert (Staudinger/Herzog, BGB, § 2311, Rn. 118; Mayer/Süß/Tanck/Bittler/Wälzholz/Riedel, Handbuch Pflichtteilsrecht, 2. Auflage, § 5, Rn. 143).

Im vorliegenden Fall hat sich dieser Literaturmeinung der BGH aber deshalb nicht angeschlossen, weil der Lebensgefährte der Erblasserin bereits vor Eintritt des Erbfalls Miteigentümer zu ½ war und mit Eintritt des Erbfalls auch die andere Hälfte des Eigentums erlangte. Für den Erben ist es damit bei dieser Sachlage problemlos möglich, die Immobilie durch Verkauf zu verwerten. Deshalb hat der BGH für die Pflichtteilsberechnung den hälftigen Wert der Immobilie in Ansatz gebracht.

Bernhard F. Klinger, Fachanwalt für Erbrecht in München, fasst den Wertermittlungsanspruch des Pflichtteilsberechtigten wie folgt zusammen:

  • Der Pflichtteilsberechtigte kann vom Erben gemäß § 2314 Abs. 1 S. 2 BGB berechtigt verlangen, dass der Wert einzelner Nachlassgegenstände (z.B. Immobilien, Hausrat, Schmuck, Antiquitäten, Fahrzeuge) durch einen unabhängigen Sachverständigen geschätzt wird.
  • Die Kosten für die Wertermittlung fallen gemäß § 2314 BGB dem Nachlass zur Last und sind vom Erben zu verauslagen.
  • Der vom Erben zu bestimmende Sachverständige muss unparteiisch und qualifiziert sein (BGH, NJW 1984, 487). Hierfür trägt der Erbe die Beweislast.
  • Gegenstand der Bewertung ist sowohl der reale als auch der fiktive Nachlass.
  • Bei der Bewertung von Gegenständen des realen und fiktiven Nachlasses ist der Wert im Zeitpunkt des Erbfalls maßgeblich. Wendet der Erbe ein, es gelte das Niederstwertprinzip des § 2325 Abs. 2 BGB, weil ein verschenkter Gegenstand zum Zeitpunkt des Schenkungsvollzugs einen niedrigeren Wert habe als im Zeitpunkt des Erbfalls, so muss der Erbe sowohl den Zeitpunkt des Schenkungsvollzugs als auch den Wert in diesem Zeitpunkt beweisen (BGH, MDR 1963, 396).
  • Kommen für die Wertermittlung verschiedene Bewertungsmethoden in Betracht, darf sich der Sachverständige nicht auf ein ganz bestimmtes Verfahren beschränken, sondern muss die Werte nach allen ernsthaft in Erwägung zu ziehenden Bewertungsverfahren ermitteln und sich damit inhaltlich auseinandersetzen. Der Sachverständige darf sich nicht auf eine einzige, von ihm favorisierte Bewertungsmethode zurückziehen und das Gutachten allein unter Anwendung dieser Methode erstellen (OLG Celle, OLGR 1995, 103; OLG München, NJW-RR 1988, 390; OLG Brandenburg, ZErb 2004, 132, 133; OLG Köln, ZEV 1999, 110, 111).
  • Die Wertermittlungsverordnung (WertV) enthält nach der Rechtsprechung (BGH, NJW-RR 2001, 732; BGH, NJW 1991, 2698) allgemein anerkannte und grundsätzlich zu beachtende Bewertungsgrundsätze, die vom Sachverständigen berücksichtigt werden müssen.
  • Der Wert etwaiger vorbehaltener Nutzungsrechte (Nießbrauchsrecht oder Wohnrecht) ist nach der Rechtsprechung (BGH, NJW 1994, 1791; BGH, NJW 1992, 2887) ebenfalls zu ermitteln. Ein vorbehaltenes Nießbrauchsrecht ist dabei mit seinem kapitalisierten Jahreswert in Ansatz zu bringen (OLG Koblenz, ZErb 2002, 104). Nach der Rechtsprechung (BGH, NJW-RR 1990, 1058, 1059; BGH, NJW-RR 1996, 705, 707) ist grundsätzlich für die Kapitalisierung die statistische Lebenserwartung des Nießbrauchsberechtigten zum Zeitpunkt der Zuwendung zugrunde zu legen.
  • Der Gutachter hat den Bewertungsgegenstand selbst in Augenschein zu nehmen. Er darf sich nicht nur auf Angaben des Erblassers verlassen (Fiedler, ZEV 2004, 469). 


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