nach oben
10.01.2019
Zweifel an der Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft

Auslegung einer testamentarischen Regelung zur Befreiung einer Vorerbin

Ein missverständlich oder mehrdeutig formuliertes Testament kann die Beurteilung, ob eine Vor- und Nacherbschaft vom Erblasser gewollt ist, sichtlich erschweren. Insbesondere kann sich hierbei für den oder die berufenen Vorerben die Frage stellen, ob sie von den Beschränkungen, die die Vorerbschaft mit sich bringt, durch den Erblasser befreit wurden. In einem solchen Fall muss das Gericht möglicherweise eine Testamentsauslegung vornehmen, um den wirklichen Willen des Erblassers oder der Erblasserin zu ermitteln.

Entscheidung des OLG München zur Befreiung der Vorerbin

So auch in einem Fall, den das OLG München zu entscheiden hatte (31 Wx 182/17). Der Erblasser hatte in seinem Testament festgelegt, dass seine neue Lebensgefährtin das gesamte Vermögen erben und es für seine Kinder verwalten solle. Gleichzeitig erhielt sie vom Erblasser eine Vollmacht über dessen Privat- und Firmenkonten. Seine Lebensgefährtin war der Auffassung, zumindest befreite Vorerbin zu sein, wenn sie nicht als Alleinerbin neben den Kindern anzusehen sei.

Der Inhalt einer Vor- und Nacherbschaft

Die Vor- und Nacherbschaft hat in der Praxis eine zeitliche versetzte Erbeinsetzung zur Folge. Im Rahmen der Testierfreiheit kann der Erblasser oder die Erblasserin die Vor- und Nacherbschaft ausdrücklich anordnen. Hierbei wird der Erbe in der Weise eingesetzt, dass dieser erst Erbe (sog. Nacherbe) wird, nachdem zunächst ein anderer Erbe (sog. Vorerbe) geworden ist. Das bedeutet, dass sowohl Vor- als auch Nacherbe Erben des oder der Verstorbenen sind, wenn auch zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Der Erblasser kann festlegen, welches Ereignis den Anfall der Nacherbschaft auslösen soll, die Vorerbschaft also enden soll. Dies kann beispielsweise der Tod des Vorerben oder eine Wiederheirat desselben sein.

Beschränkungen des Vorerben

Grundsätzlich unterliegt der Vorerbe hinsichtlich des Nachlasses während der Zeit seiner Vorerbenstellung diversen Beschränkungen, die dessen Erhalt für den oder die Nacherben sichern sollen. Beispiele hierfür sind unter anderem die Unwirksamkeit der Verfügung über ein zur Erbschaft gehörendes Grundstück, soweit es das Recht des Nacherben vereiteln oder beeinträchtigen würde, die Pflicht zur Sicherheitsleistung an den Nacherben, wenn durch ein Verhalten des Vorerben oder dessen ungünstiger Vermögenslage die Besorgnis einer erheblichen Verletzung der Rechte des Nacherben begründet ist oder die Pflicht, dem Nacherben auf dessen Verlangen ein Verzeichnis über die zur Erbschaft gehörenden Gegenstände mitzuteilen.

Befreiung des Vorerben

Nach § 2136 BGB besteht jedoch für den Erblasser die Möglichkeit, den Vorerben von einigen Beschränkungen der Vorerbschaft zu befreien. Diese Befreiung kann im Testament ausdrücklich angeordnet oder auch durch Auslegung des Testamentstextes ermittelt werden, wie es das OLG München gezeigt hat.

Den von der Lebensgefährtin begehrten Erbschein stellte ihr das Nachlassgericht jedoch im Ergebnis nicht aus.

Auf die Formulierung und den Kontext kommt es an

Das OLG stellte fest, dass eine Befreiung von den Beschränkungen der Vorerbschaft zwar sowohl ausdrücklich im Testament vorgenommen als auch durch Auslegung des Testamentstextes erfolgen könne. Hierzu müsse der Befreiungswille des Erblassers jedoch in der Urkunde angedeutet werden. Dies sei jedoch laut dem Gericht hier gerade nicht der Fall. Die Formulierung „Mein gesamtes Vermögen erbt“ stelle kein Indiz für eine befreite Vorerbschaft dar. Dies gelte sogar für die Erteilung einer Vollmacht für Privat- und Firmenkonten durch den Erblasser an seine Lebensgefährtin. Sie solle lediglich die Handlungsmöglichkeit der Erbin sichern. Ferner sei die Vorerbin auch nicht finanziell benachteiligt, da ihr die so genannte Vorsorgefunktion der Vorerbschaft zugutekomme. Insgesamt lehnte das Gericht eine durch den Erblasser gewollte Befreiung zugunsten der Lebensgefährtin ab. 

Praxistipp des Fachanwalts für Erbrecht in Gießen Joachim Mohr

Um beim Eintritt eines Erbfalls Auslegungsproblematiken zu vermeiden und dem wirklichen Willen des Erblassers Rechnung zu tragen, empfiehlt sich eine ausdrücklich im Testament angeordnete Befreiung von den Beschränkungen der Vorerbschaft. Überdies schafft eine ausdrücklich angeordnete Befreiung Rechtssicherheit für die am Erbfall Beteiligten und vermeidet langwierige und kostenintensive Prozesse.



← zurück
Netzwerk Deutscher Testamentsvollstrecker e.V. Erbrechtsmediation Erbrechtsakademie