nach oben
12.2.2019
Ist der Pflichtteilsergänzungsanspruch rechtswidrig?

Bundesverfassungsgericht urteilt über die Verfassungsmäßigkeit des Pflichtteilsergänzungsanspruches

Mit Beschluss vom 26.11.2018 in dem Verfahren 1 BvR 1511/14 hat sich das Bundesverfassungsgericht damit beschäftigt, ob der Pflichtteilsergänzungsanspruch, der auf einer Schenkung während der Ehe des Erblassers an seinen Ehegatten beruht und bereits länger als 10 Jahre zurückliegt, gegen das Grundgesetz verstößt.

Grundlagen

Nach § 2325 Abs. 1 BGB steht dem Pflichtteilsberechtigten bei einer Schenkung des Erblassers an einen Dritten als Ergänzung des Pflichtteils der Betrag zu, um den sich der Pflichtteil erhöht, wenn der verschenkte Gegenstand dem Nachlass fiktiv hinzugerechnet wird. Für diesen Anspruch werden Schenkungen des Erblassers nur innerhalb der letzten 10 Jahre vor dem Erbfall berücksichtigt, wobei auf den Vollzug der Leistung und nicht das Schenkungsversprechen selbst abgestellt wird. Ist innerhalb der letzten 10 Jahre eine entsprechende Schenkung erfolgt, wird aber nicht der volle Wert der Schenkung in den zur Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruches fiktiven Nachlass eingestellt, sondern der Wert der Schenkung jährlich abgeschmolzen, wie sich aus § 2325 Abs. 3 S. 1 und 2 BGB ergibt. Bei einer Schenkung unter Ehegatten gilt diese Frist nicht (vgl. § 2325 Abs. 3 S. 3 BGB).

Beispiel

Der ledige Erblasser verschenkt 15 Jahre und 5,5 Jahre vor seinem Tod jeweils 24.000 € an seine Freundin F. Er hat zwei Kinder Sohn S und Tochter  T. In seinem Testament setzt er S zu seinem Alleinerben ein. Der Nachlass hat einen Wert von 40.000 €.

Der Pflichtteil von T hat nach § 2303 BGB einen Wert von 10.000 € (40.000 € x ¼ (=Pflichtteilsquote)). Sie kann darüber hinaus eine Pflichtteilsergänzung nach §  2325 BGB  in Höhe von 3.000 € verlangen. Die erste Schenkung wird nicht berücksichtigt, die zweite nur mit 50 % da sie bereits mehr als 5 volle Jahre zurückliegt und deswegen abzuschmelzen ist (24.000 €, abgeschmolzen um 50 % auf 12.000 €, hiervon ¼ = 3.000 €; eigentlich wäre dieser Betrag noch wegen der Inflation zu indexieren).

Wäre der Erblasser 30 Jahre mit F verheiratet gewesen und diese ein halbes Jahr vor dem Erblasser verstorben, ergäbe sich ein Pflichtteilsergänzungsanspruch der T in Höhe von 12.000 € (beide Schenkungen wären voll zu berücksichtigen, da sie in der Ehe erfolgt sind und die 10-Jahresfrist nicht zu laufen begonnen hat). So gesehen ist die Ehe für S als Erbe ein Nachteil.

Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Die Beschwerdeführer waren der Auffassung, dass § 2325 Abs. 3 BGB gegen den Gleichheitsgrundsatz und gegen das Grundrecht des Schutzes von Ehe und Familie (Art. 6 GG) verstößt.

Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz und den Schutz der Familie

Das Bundesverfassungsgericht sieht keinen Verstoß gegen Art. 6 und 3 GG. § 2325 Abs. 3 S. 3 BGB bewirke keine verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von Schenkungen an Ehegatten und Schenkungen an Dritte, insbesondere nichteheliche Lebensgefährten und Kinder, im Rahmen der Pflichtteilsergänzung. Da der Gesetzgeber im Rahmen seines Beurteilungs- und Gestaltungsspielraums davon ausgehen durfte, dass typischerweise bei einer Schenkung an nichteheliche Lebensgefährten und Kinder keine gleichermaßen dauerhafte Erwartung der Weiternutzungsmöglichkeit besteht wie bei Ehegatten. Die wirtschaftliche Verflechtung der Ehegatten und die aus der Ehe resultierenden gegenseitigen Ansprüche könnten zur Grundlage der Ungleichbehandlung von Dritt- und Ehegattenschenkungen gemacht werden. § 2325 Abs. 3 S. 3 BGB sorge für einen ausgewogenen Interessenausgleich zwischen dem hinterbliebenen Ehegatten und den sonstigen der Familie des Erblassers zugehörigen Pflichtteilsberechtigten und halte sich  innerhalb des dem Gesetzgeber zustehenden weiten Gestaltungsspielraums.

Das Pflichtteilsrecht gewährleiste die verfassungsrechtlich geschützte und grundsätzlich unentziehbare, bedarfsunabhängige wirtschaftliche Mindestbeteiligung der Kinder des Erblassers an dessen Nachlass. Diese sei als traditionelles Kernelement des deutschen Erbrechts Bestandteil des institutionell verbürgten Gehalts der Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG.

Tipp vom Fachanwalt für Erbrecht Armin Abele aus Reutlingen

Ehegattenzuwendungen oder Zuwendungen unter Nutzungsvorbehalt, z.B. die Übertragung von Grundstücken unter Nießbrauchsvorbehalt, sind in der Regel ungeeignet, Pflichtteilsergänzungsansprüche zu umgehen oder zu reduzieren. Wer Pflichtteilsansprüche unliebsamer Pflichtteilsberechtigter minimieren möchte, sollte sich frühzeitig vom Spezialisten beraten lassen, um im Dschungel der legalen Gestaltungsmöglichkeiten die für ihn richtige Pflichtteilsoptimierungsstrategie zu finden.



← zurück
Netzwerk Deutscher Testamentsvollstrecker e.V. Erbrechtsmediation Erbrechtsakademie