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16.4.2012

Pflichtteilsentzug wegen Vergewaltigung

Das Landgericht Stuttgart hat entschieden, dass die Entziehung des Pflichtteils auch darauf gestützt werden kann, dass der Pflichtteilsberechtigte wegen Vergewaltigung rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde.

Der Fall:

Die Erblasserin entzog ihrem Sohn testamentarisch den Pflichtteil, weil er wegen Vergewaltigung rechtskräftig verurteilt worden war. Außerdem hatte er sie damit bedroht, sie „totzuschlagen“ und ihr mit weiteren Äußerungen gedroht. Die Mutter hielt die Vorfälle in einem Tagebuch fest und setzte ihre Enkelkinder zu ihren Erben ein. Der Enterbte klagte seinen Pflichtteil unter der Bedingung, ihm hierfür Prozesskostenhilfe zu bewilligen, ein.

Die Entscheidung:

Das LG Stuttgart wies den Antrag mangels Erfolgsaussichten zurück. Es liege der Entziehungsgrund des § 2333 Abs. 1 Nr. 4 BGB vor, der eine rechtskräftige Verurteilung des Pflichtteilsberechtigten wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung voraussetzt, durch welche dem Erblasser eine Teilhabe des Verurteilten an seinem Nachlass unzumutbar ist.

Der Sohn der Erblasserin war wegen Vergewaltigung zu zwei Jahren und drei Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Gerade der Tatbestand des § 2333 I Nr. 4 BGB soll nach der Gesetzesbegründung ausdrücklich auch schwere Vergehen aus dem Sexualstrafrecht erfassen, weshalb auf die Anknüpfung an den Begriff des „Verbrechens“ bewusst verzichtet wurde. Der im Jahr 1920 geborenen Erblasserin, die eine gläubige Katholikin gewesen ist, war es wegen dieser Verurteilung auf Grund ihrer gelebten Wertvorstellungen unzumutbar, den pflichtteilsberechtigten Sohn an ihrem künftigen Nachlass teilhaben zu lassen. Sie selbst litt nach den vorgelegten Tagebuchaufzeichnungen erheblich unter dieser Straftat ihres Sohnes, wobei auch die allgemeinen Anschauungen und Wertvorstellungen der Rechtsgemeinschaft eine Vergewaltigung in besonderem Maße missachtet. 

Ausserdem stellen die schweren Beleidigungsdelikte auch eine grobe Missachtung des Eltern-Kind-Verhältnisses dar, wie sich aus den vorgelegten Tagebuchaufzeichnungen der Erblasserin ergibt: Er hatte seine Mutter des Öfteren massiv und derb beleidigt und angekündigt bzw. damit gedroht, sie totzuschlagen. Dieses Verhalten rechtfertige den Pflichtteilsentziehungsgrund des § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB.

Praxishinweis: Die wirksame Pflichtteilsentziehung hat strenge Voraussetzungen. Nicht selten scheitert der Pflichtteilsentzug an der mangelhaften oder unvollständigen Darstellung des Kernsachverhalts im Testament, der die Entziehung rechtfertigen soll. Hier konnten die Vergewaltigungsvorwürfe sowie das beleidigende und herabwürdigende Verhalten des enterbten Sohnes durch Tagebuchaufzeichnungen hinreichend belegt werden; eine Darstellung des Tatvorwurfs der Vergewaltigung und der Verurteilung unter Hinweis auf den ehemaligen Anklagesatz, der das damalige Tatgeschehen aufzeigte und die Pflichtteilsentziehung rechtfertigte, genügte, um diese „formelle Hürde“ des § 2336 BGB zu überspringen. Außerdem darf keine spätere Verzeihung gem. § 2337 BGB des Erblassers vorliegen, damit der Grund zur Pflichtteilsentziehung nicht verloren geht (Übers. s. Klinger/Roth, NJW-Spezial 2007, 503).

Fundstelle: LG Stuttgart, Beschluss vom 15. 2. 2012 – 16 O 638/11



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