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Der Pflichtteilsergänzungsanspruch - Auswirkungen von Schenkungen auf den Pflichtteil

Oft finden Erben oder Pflichtteilsberechtigte einen Nachlass vor, der durch lebzeitige Schenkungen des Verstorbenen geschmälert wurde.
Hiergegen schützt das Gesetz die Pflichtteilsberechtigten mit dem sog. Pflichtteilsergänzungsanspruch.

Mit dem Pflichtteilsergänzungsanspruch werden enterbte Pflichtteilsberechtigte und pflichtteilsberechtigte Erben so gestellt, als wären die geschenkten Gegenstände noch im Nachlass vorhanden. Der Erb- oder Pflichtteil wird dann um den Betrag ergänzt, der sich als (Gesamt-) Pflichtteil ergäbe, wenn man die Werte der Geschenke fiktiv dem tatsächlichen Nachlass hinzurechnet (sog. "fiktiver Nachlass").
Allerdings ist beim Hinzurechnung der Werte ggf. eine Abschmelzung und eine Ausschlussfrist zu beachten (§ 2325 Abs. 3 BGB)!

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Autor dieser Seite:

Hans-Oskar Jülicher
Fachanwalt für Erbrecht, Testamentsvollstrecker in Heinsberg

Welche Schenkungen erhöhen den Pflichtteil?

Video

In diesem Video erklärt Ihnen Hans-Oskar Jülicher, Fachanwalt für Erbrecht in Heinsberg, welche Schenkungen den Pflichtteil erhöhen.

Das Wichtigste in Kürze
  • Der Pflichtteilsergänzungsanspruch kann neben dem enterbten Pflichtteilsberechtigten auch dem durch Schenkungen benachteiligten pflichtteilsberechtigten Erben zustehen.
  • Bei der Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs wird unterstellt, dass das Geschenk noch vorhanden ist. Der Wert des Geschenks wird dem Nachlass fiktiv hinzugerechnet und aus dem fiktiven Nachlass der Pflichtteil errechnet.
  • Die Höhe des Pflichtteilsergänzungsanspruchs hängt neben der Pflichtteilsquote von der oft komplizierten Berechnung des Wertes der lebzeitigen Zuwendung ab.

1. Was ist ein Pflichtteilsergänzungsanspruch?

Durch das Pflichtteilsrecht hat der Gesetzgeber bestimmt, dass Pflichtteilsberechtigten eine Mindestbeteiligung am Nachlass zusteht. Dies kann vom Erblasser nur durch einen lebzeitigen Pflichtteilsverzicht oder eine kaum durchsetzbare Pflichtteilsentziehung verhindert werden.

Ebenso wie der ordentliche Pflichtteil ist auch der Anspruch auf Pflichtteilsergänzung ein reiner Geldanspruch entsprechend der Pflichtteilsquote.

Wenn nun der Erblasser durch lebzeitige Schenkungen den Nachlass geschmälert hat, verringert sich natürlich die Höhe der Erb- und Pflichtteilsansprüche. Dies kann auch einen zum Erben eingesetzten Pflichtteilsberechtigten treffen.
Um zu verhindern, dass der Pflichtteil durch Schenkungen - ob gewollt oder nicht - ausgehöhlt wird, gibt es den gesetzlichen Pflichtteilsergänzungsanspruch (§§ 2325 ff. BGB).

Um die Höhe dieses Anspruchs zu berechnen, wird der Wert des Geschenks fiktiv dem Nachlass hinzugerechnet und sodann aus dem so ergänzten, fiktiven Nachlass der fiktive Pflichtteilsanspruch (oder auch Gesamtpflichtteil) berechnet. Der Pflichtteilsergänzungsanspruch ist dann die Differenz aus dem Gesamtpflichtteil und dem ordentlichen Pflichtteil nach dem vorhandenen Nachlass (beim enterbten Pflichtteilsberechtigten) oder dem Wert des Erbteils (bei pflichtteilsberechtigten Erben) oder eines Vermächtnisses (§ 2307 BGB).

Ob und mit welchem Wert die Geschenke dem Nachlass hinzugerechnet werden, hängt auch von Fristen ab. Wenn es sich um Schenkungen ohne Nutzungsvorbehalte handelt, so sind - außer bei Zuwendungen an Ehegatten - nur die aus den letzten zehn Jahren zu berücksichtigen.
Zu beachten ist weiterhin, dass solche Schenkungen dem im Jahr 2010 gesetzlich eingeführten Abschmelzungsmodell unterliegen. Dies bedeutet, dass für jedes Jahr, das zwischen Leistung des geschenkten Gegenstands und Erbfall liegt, zehn Prozent des Wertes in Abzug gebracht werden. 

Berechnungsbeispiel (enterbter Pflichtteilsberechtigter): 

Ein Erblasser setzt den Tierschutzverein zum Alleinerben ein. Sechs Jahre und vier Monate vor seinem Tod schenkte er dem Verein 50.000 Euro. Zum Todestag beträgt der Nachlass ebenfalls 50.000 Euro. Die Tochter des Erblassers wäre alleinige gesetzliche Erbin gewesen, die Pflichtteilsquote würde die Hälfte, also 50 Prozent, betragen.
Aus dem tatsächlich noch vorhandenen Nachlass kann sie also den ordentlichen Pflichtteil von 25.000 Euro geltend machen. Wegen der Schenkung hat sie ferner einen Anspruch auf Pflichtteilsergänzung. Die Schenkung ist dem Nachlass hinzuzurechnen, allerdings wegen der Abschmelzung nur noch mit einem Wert von 40 Prozent, also mit 20.000 Euro. Ihr Gesamtpflichtteil beläuft sich also auf [(50.000 + 20.000) / 2 =] 35.000 Euro, davon 10.000 Euro Pflichtteilsergänzung.

Berechnungsbeispiel (pflichtteilsberechtigter Erbe): 

Der verwitwete Erblasser hinterlässt seine Kinder S und T sowie einen Nachlass im Werte von 10.000 Euro. Kurz vor seinem Tod hat er seiner heimlichen Geliebten G noch ein Geldgeschenk über 30.000 Euro gemacht.
S und T stehen zunächst ihre Erbteile i.H.v. jeweils 5.000 Euro zu. Rechnet man nun die Schenkung dem Nachlass hinzu, beliefe sich der Pflichtteil eines jeden Kindes auf [(10.000 + 30.000) / 4 =] 10.000 Euro. Jedem Kind steht also neben seinem Erbteil noch ein Pflichtteilsergänzungsanspruch i.H.v. (10.000 - 5.000 =) 5.000 Euro zu. Diesen können sie nun gegen die beschenkte G geltend machen.

2. Wer hat einen Pflichtteilsergänzungsanspruch?

Nur wer zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten gehört, kann auch einen Pflichtteilsergänzungsanspruch haben.

  Wer gehört zum Personenkreis der Pflichtteilsberechtigten?

3. Gegen wen richtet sich der Pflichtteilsergänzungsanspruch?

Ebenso wie der ordentliche Pflichtteil richtet sich der Pflichtteilsergänzungsanspruch gegen den Erben. Mehrere Erben haften als Gesamtschuldner.

Ist der Nachlass allerdings nicht ausreichend, um den Pflichtteilsergänzungsanspruch erfüllen zu können, gibt § 2329 BGB die Möglichkeit, den (restlichen) Anspruch gegen den zuletzt Beschenkten durchzusetzen.

Der Anspruch gegen den Beschenkten ist ausnahmsweise kein Anspruch auf eine Geldsumme, sondern auf Duldung der Zwangsvollstreckung in den geschenkten Gegenstand in Höhe des an der Pflichtteilsergänzung fehlenden Betrags.
Nur wenn ein Geldgeschenk gemacht wurde, kann eine Klage direkt auf Zahlung gerichtet werden.
Der Beschenkte hat die Möglichkeit, die Zwangsvollstreckung in den geschenkten Gegenstand durch Zahlung des Fehlbetrages abwenden.

 

Expertentipp vom Fachanwalt für Erbrecht:

Die dreijährige Verjährung beim Anspruch gegen den Beschenkten beginnt kenntnisunabhängig schon mit dem Erbfall!

4. Wann habe ich einen Pflichtteilsergänzungsanspruch?

Der Pflichtteilsergänzungsanspruch ist ein selbstständiger Anspruch, der neben dem ordentlichen Pflichtteilsanspruch besteht und sogar von dessen Bestehen unabhängig ist.
Daher kann auch ein Erbe, der zum pflichtteilsberechtigten Personenkreis gehört, einen Pflichtteilsergänzungsanspruch haben. Selbst wenn man durch die Ausschlagung einer Erbschaft seinen ordentlichen Pflichtteilsanspruch verliert, kann man dennoch Pflichtteilsergänzung beanspruchen.

  Erbe ausschlagen: Wann ist das sinnvoll?

Ergänzungspflichtig sind nur Schenkungen, bei denen der Erblasser selbst Schenker ist. Diese müssen zu Lebzeiten des Erblassers erfolgt sein. Es reicht, wenn die Schenkung, wie zum Beispiel bei Lebensversicherungen, erst mit dem Tod fällig wird.
Erforderlich ist eine Bereicherung des Zuwendungsempfängers aus dem Vermögen des Erblassers. Weiter ist eine Einigung über die Unentgeltlichkeit der Zuwendung maßgeblich. Nach der Rechtsprechung zählen zu den pflichtteilsergänzungsrelevanten Schenkungen auch ehebedingte Zuwendungen.

  Erbrecht und Lebensversicherung - Gestaltungsmöglichkeiten und Risiken

Selbst bei einem verschuldeten Nachlass kann es einen Pflichtteilsergänzungsanspruch geben. Wenn dann ein Erbe von seiner Haftungsbeschränkungsmöglichkeit Gebrauch macht, muss der Pflichtteilsergänzungsanspruch gegen den Beschenkten geltend gemacht werden.

Berechnungsbeispiel: 

Zwei Kinder eines verwitweten Erblassers sind durch Testament enterbt. Eingesetzter Alleinerbe ist ein Tierschutzverein. Der Nachlass beträgt 300.000 Euro. Sechs Monate vor seinem Tod schenkte der Erblasser 300.000 Euro an eine andere gemeinnützige Organisation.

Aus dem Nachlass können beide Kinder ihren ordentlichen Pflichtteilsanspruch von je 1/4, also je 75.000 Euro, fordern. Darüber hinaus gibt es eine Ergänzung aus den geschenkten 300.000 Euro in Höhe von wiederum jeweils 75.000 Euro. Schuldner ist der Tierschutzverein als Alleinerbe. Die Gesamtforderung der beiden pflichtteilsberechtigten Kinder in Höhe von 300.000 Euro muss aus dem Nachlass beglichen werden. Dem Tierschutzverein verbleibt nichts mehr, die früher beschenkte gemeinnützige Organisation braucht sich nicht zu beteiligen.

5. Welche Schenkungen ergänzen den Pflichtteil?

Eine ergänzungspflichtige Schenkung liegt vor, wenn und soweit dem aus dem Vermögen des Erblassers übertragenen Schenkungsgegenstand keine vollwertige Gegenleistung gegenüber stand.
Erfasst werden also auch Zuwendungen, für die nur teilweise eine Gegenleistung erbracht wird. Wenn zum Beispiel bei einer Grundstücksübertragung nur 80 bis 90 Prozent des Wertes durch Gegenleistungen abgedeckt sind, kann schon eine Teilschenkung vorliegen.

Die Bezeichnung als „Schenkung“ in einer Notarurkunde ist nicht erforderlich; entscheidend ist allein, dass eine (Teil-) Unentgeltlichkeit sowie subjektiv eine eine Schenkungsabrede vorliegt.
Eine Einigung über die Unentgeltlichkeit braucht nicht ausdrücklich erklärt zu werden, sie kann sich auch aus den Umständen abgeleiten. 

Keine Schenkung ist zum Beispiel das Verjährenlassen einer Forderung, die Nichtausübung eines Vorkaufsrechtes oder auch die Ausschlagung einer Erbschaft. Das Unterlassen eines Vermögenserwerbes ist ebenfalls keine Schenkung und damit pflichtteilsergänzungsfest.

Der Pflichtteilsergänzung unterliegen ebenfalls nicht sogenannte Pflicht- und Anstandsschenkungen nach § 2330 BGB.

  Anstandsschenkung & Anstandsgeschenke - Bedeutung und Erklärung

6. Stellt die unentgeltliche Überlassung einer Wohnung eine Schenkung dar?

In der Praxis kommt es sehr häufig vor, dass Eltern ein Kind manchmal jahrelang unentgeltlich in ihrem Haus oder ihrer Wohnung haben wohnen lassen.

Viele Mandanten meinen dann, dies stelle eine Schenkung der Eltern dar, die beim Pflichtteil zu berücksichtigen sei. Dem ist jedoch nicht so: Die Rechtsprechung sieht in der unentgeltlichen Gebrauchsüberlassung keine Schenkung, sondern zu recht LeihePflichtteilsergänzungsansprüche scheiden daher aus.

Die unentgeltliche Überlassung einer Wohnung oder von Praxisräumen kann aber eine ausgleichspflichtige Ausstattung sein (§ 2050 Abs. 1 BGB).

7. Unterliegen Zuwendungen unter Ehegatten dem Pflichtteilsergänzungsanspruch?

Zuwendungen unter Ehegatten sind regelmäßig keine Schenkungen, da sie der ehelichen Lebensgemeinschaft dienen und es zumeist an der Einigkeit der Eheleute über die Unentgeltlichkeit fehlt. Für solche Zuwendungen hat sich der Begriff der "ehebedingten" bzw. "unbenannten Zuwendung" etabliert.

Seit der Grundsatzentscheidung des BGH vom 27.11.1991 (IV ZR 164/90, BGHZ 116, 167) sind unbenannte Zuwendungen jedoch im Erbrecht wie Schenkungen zu behandeln.

Damit unterliegen auch unbenannte Zuwendungen unter Eheleuten der Pflichtteilsergänzung.
Voraussetzung ist lediglich, dass sie objektiv unentgeltlich waren. Daran fehlt es etwa, wenn die Zuwendung 
der Alterssicherung des Ehegatten dient oder ihm unterhaltsrechtlich geschuldet war. Auch eine Vergütung für langjährige Dienste kann nicht für eine Pflichtteilsergänzung herangezogen werden. 

Expertentipp vom Fachanwalt für Erbrecht:

Beachten Sie, dass bei Schenkungen unter Eheleuten erst ab Auflösung der Ehe eine Abschmelzung stattfindet und die 10-Jahresfrist zu laufen beginnt.

8. Was versteht man unter einer gemischten Schenkung?

Eine gemischte Schenkung liegt vor, wenn Leistung und Gegenleistung sich wertmäßig nicht decken.
Ein Pflichtteilsergänzungsanspruch kann nur hinsichtlich des unentgeltlichen Teils entstehen.
Allerdings müssten sich dann die Vertragsparteien auch über die Unentgeltlichkeit der Wertdifferenz einig gewesen sein. Dies ist für den Pflichtteilsberechtigten regelmäßig extrem schwer zu beweisen, da die Beteiligten im Rahmen der Vertragsfreiheit grundsätzlich frei darin sind, den Wert der auszutauschenden Leistungen zu bestimmen: „Prinzip der subjektiven Äquivalenz“, nennen dies die Juristen.

Die Rechtsprechung gewährt dem Pflichtteilsberechtigten daher Beweiserleichterungen: Ist die Wertbestimmungen der Parteien rein willkürlich und ohne sachliche Grundlage, dann kommt es auf den Parteiwillen nicht mehr an.
Besteht zwischen Leistung und Gegenleistung ein
auffallend grobes Missverhältnis wird von der Rechtsprechung sogar vermutet, dass die Parteien sich über die (Teil-) Unentgeltlichkeit einig waren.

9. Wie werden Schenkungen wertmäßig bei der Pflichtteilsergänzung berücksichtigt?

Mit welchem Wert eine geschenkte Sache dem Nachlass hinzuzurechnen ist, bestimmt § 2325 Abs. 2 BGB. Danach kommt in Ansatz

  • eine verbrauchbare Sache mit dem Wert, den sie zum Zeitpunkt des Vollzugs der Schenkung hatte,
  • eine nicht verbrauchbare Sache mit dem Wert, den sie zur Zeit des Erbfalls hatte, wenn nicht der Wert zum Zeitpunkt der Schenkung der niedrigere war.

 

Wurde zum Beispiel Jahre vor dem Erbfall ein werthaltiges Fahrzeug oder Geld verschenkt, dann kommt es nie auf den Wert am Todestag an.
Bei nicht verbrauchbaren Sachen, insbesondere bei Immobilien, gilt das „Niederstwertprinzip“. Hier sind also zwei Werte zu vergleichen: Der indexierte Wert zur Zeit der Schenkung und der Wert am Todestag. Es ist dann der niedrigere Wert maßgeblich und wird dem Nachlass fiktiv hinzugerechnet.

Zu beachten ist allerdings immer eine mögliche „Abschmelzung“ nach § 2325 Abs. 3 BGB.

  Niederstwertprinzip - Bedeutung und Erklärung

Expertentipp vom Fachanwalt für Erbrecht:

Um die Werte zum Zeitpunkt der Schenkung und zum Zeitpunkt des Erbfalls vergleichbar zu machen und den Kapital- und Kaufpreisschwund für die Zeit zwischen Schenkung und Erbfall auszugleichen, ist vor dem Werttvergleich zunächst der Schenkungswert mit dem Verbraucherpreisindex auf den Todeszeitpunkt hochzurechnen, also zu indexieren.

10. Wie berechnet sich der Pflichtteilsergänzungsanspruch bei Schenkungen unter Vorbehalt eines Wohnungsrechts oder eines Nießbrauchs?

Häufig werden Immobilien schon zu Lebzeiten gegen Einräumung von Nießbrauch oder Wohnungsrecht übertragen.
Motiv hierfür kann die Ausnutzung der steuerlichen Freibeträge sein, die alle zehn Jahre neu ausgenutzt werden können.

Für ein Wohnungsrecht oder den Nießbrauch muss ein Kapitalwert ermittelt werden, der dann als Gegenleistung oder wertmindender Faktor vom Wert der Immobilie in Abzug gebracht wird. Dieser Kapitalwert hängt von der statistischen Lebenserwartung des Schenkers zum Zeitpunkt der Zuwendung ab.

Das Bundesministerium der Finanzen gibt jährlich Tabellen heraus, mit denen die Bewertung einer lebenslänglichen Nutzung, bezogen auf die statistische Lebenserwartung des Berechtigten, errechnet werden kann. Diese sog. Sterbetafeln weisen - je nach Alter des Zuwendenden - Multiplikatoren aus, mit denen der Jahreswert eines Wohnungsrechts oder Nießbrauchs zu vervielfältigen ist. Das Produkt ist dann der Wert des Nutzungsrechts.

Die Lebenserwartung von Frauen ist höher als die von Männern. Auch dies ist in den Tabellen berücksichtigt.

Beispiel:

Behält sich zum Beispiel eine 68-jährige Schenkerin den Nießbrauch mit einem Jahreskaltmietwert von 6.000 Euro vor, und wird dieser Wert (etwa nach der Sterbetafel 2019) mit dem Faktor 11,755 multipliziert, dann ergibt sich ein Kapitalwert des Nießbrauchs von 70.530 Euro.
Bei sehr jungen Schenkern bzw. Nutzungsberechtigten kann der Kapitalwert des Nutzungsrechts sogar höher sein als der Wert der Immobilie selbst!

Weitere Fragen und Antworten

Wie werden Schenkungen mit Widerrufsvorbehalt und Rückfallklausel bewertet?

Insbesondere bei Immobilienschenkungen werden Widerrufs- oder Rückfallklauseln für bestimmte Fälle vereinbart.
Vor allem dann, wenn der Beschenkte vor dem Schenker verstirbt, die Zwangsvollstreckung in das Grundstüch betrieben wird oder der Beschenkte in Insolvenz gerät, soll der Schenker das Recht haben, das Geschenk zurück zu verlangen.
Bei der Bewertung dieser Rückfallklauseln gibt die Rechtsprechung einen Abschlag von zehn Prozent auf den Immobilienwert, nicht etwa nur auf den Schenkungsanteil. Hiermit soll das Risiko einer Rückübertragung für den Beschenkten abgedeckt werden.

Wie werden Schenkungen gegen Pflegeleistungen bewertet?

Bei Grundstücksübertragungen werden häufig verpflichtende Pflegeleistungen zugunsten des Zuwendenden vereinbart.
Auch solche Pflegeverpflichtungen und Pflegeleistungen können als Abzugsposten für die Bewertung der Immobilienübertragung in Betracht kommen. Sehr problematisch ist allerdings die Bewertung der geschuldeten Pflegeleistung. Die Rechtsprechung hierzu ist sehr unübersichtlich. Vorrangig ist von den vertraglich festgelegten Verpflichtungen auszugehen. Vieles hängt auch davon ab, ob der Schenker zum Zeitpunkt der Grundstücksübertragung schon pflegebedürftig war oder wie hoch das Risiko der Pflegeübernahme für den Beschenkten war.

Vielfach ist den Vertragsparteien nicht bekannt, dass nach der Rechtsprechung ein großer Spielraum bei der eigenen Festlegung der Bewertung besteht. Dies kann bei einer Rund-um-die-Uhr-Betreuung einen Monatsbetrag von 2.000 Euro rechtfertigen. Werterhöhend ist jedenfalls zu berücksichtigen, dass es regelmäßig der Wunsch des Schenkers bzw. Übergebers ist, nicht von fremdem Pflegepersonal, sondern von seinen Kindern oder sonstigen Angehörigen gepflegt zu werden. Wegen der persönlichen Beziehung können sie viel besser auf die Wünsche des Schenkers eingehen.

Mangels Vereinbarung werden oft Stundensätze (Mindestlohn/Stunde) oder die Orientierung an den Pflegegraden des Pflegeversicherungsgesetzes mit den jeweils für die Pflegegrade maßgeblichen Sachleistungswerten als angemessen angesehen.

Auch bei Pflegeleistungen ist der Kapitalwert zu ermitteln. Hierbei ist nicht etwa auf den Beginn der Pflegeleistungen abzustellen, sondern auf den Zeitpunkt der Übernahme der Pflegeverpflichtung im Vertrag. Zur Ermittlung des Kapitalwertes können auch hier die Tabellen des Bundesministeriums der Finanzen zur Bewertung von lebenslänglichen Leistungen herangezogen werden.

  Tabelle des Bundesministeriums der Finanzen zur Bewertung von lebenslänglichen Leistungen - ab 1.1.2020

Wird ein Eigengeschenk auf den Pflichtteilsergänzungsanspruch angerechnet?

Oft haben nicht nur Dritte, sondern auch der Pflichtteilsberechtigte selbst vom Erblasser zu Lebzeiten Schenkungen erhalten oder sind Bezugsberechtigte einer Lebensversicherung.
Bei der Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs werden dann Eigengeschenke in Abzug gebracht. § 2327 BGB bestimmt, dass Eigengeschenke "in gleicher Weise wie das dem Dritten gemachte Geschenk" dem Nachlass hinzugerechnet und sodann auf den Ergänzungsanspruch - nicht den ordentlichen Pflichtteil - angerechnet werden.

Häufig werden bei Schenkungen Anrechnungsbestimmungen (§ 2315 BGB) oder Ausgleichungsbestimmungen (§ 2316 BGB) nicht getroffen, manchmal sogar schlichtweg vergessen. Solche Anrechnungs- oder Ausgleichungsverpflichtungen mindern den ordentlichen Pflichtteil. Eigengeschenke ohne Anrechnungs- oder Ausgleichungsverpflichtungen führen nicht zur Kürzung des ordentlichen Pflichtteils, wirken sich aber beim Pflichtteilsergänzungsanspruch mindernd aus.
Pflicht- und Anstandsschenkungen an den Pflichtteilsberechtigten führen nicht zur Kürzung seines Ergänzungsanspruches.

Hat der Pflichtteilsberechtigte mehrere Zuwendungen erhalten, so werden diese zusammengerechnet. Es gibt weder eine Zeitgrenze noch eine Abschmelzung. Bei Kindern geht es also um Geschenke ab der Geburt, bei Eheleuten ab der Eheschließung. Auch bei Eigengeschenken ist der Kapitalschwund zwischen dem Zeitpunkt der Zuwendung und dem Todestag des Erblassers nach dem Verbraucherpreisindex hochzurechnen.

Eine Anrechnung eines Eigengeschenkes auf den ordentlichen Pflichtteil erfolgt nicht. Nur der Anspruch auf Ergänzung des Pflichtteils ist von Eigengeschenken betroffen. Überschreitet die Summe der Eigengeschenke den ansonsten bestehenden Anspruch auf Pflichtteilsergänzung, so braucht der Ergänzungsberechtigte sich den Mehrbetrag nicht auf den ordentlichen Pflichtteil anrechnen zu lassen und das mehr Erhaltene auch nicht an den Nachlass zurückzuzahlen. Von der Forderung der Pflichtteilsergänzung wird der Pflichtteilsberechtigte tunlichst dann Abstand nehmen, wenn die Summe der Eigengeschenke dazu führt, dass sogar der Erbe mangels ausreichenden Nachlasses selbst pflichtteilsergänzungspflichtig sein kann.

Da in der Praxis die Eigengeschenke ohne Anrechnungsbestimmung am häufigsten vorkommen, soll folgendes Berechnungsbeispiel - unter Außerachtlassung der Hochrechnung auf den Todestag - für diese Konstellation angeführt werden:

Berechnungsbeispiel 1: 

Der Nachlass der verstorbenen Witwe W beträgt 300.000 Euro. Es gibt zwei Kinder, den Sohn S und die Tochter T. Alleinerbe ist der Sohn S. Tochter T macht ihren Pflichtteil geltend. S hatte lebzeitig 200.000 Euro von seiner Mutter bekommen, T 20.000 Euro.

Der ordentliche Pflichtteilsanspruch der T aus dem realen Nachlass beträgt 1/4 aus 300.000 Euro = 75.000 Euro.
Beim Gesamtpflichtteil sind der reale und fiktive Nachlass zu addieren: 300.000 Euro + 200.000 Euro + 20.000 Euro = 520.000 Euro; hieraus ein Viertel sind 130.000 Euro. Nach Abzug des ordentlichen Pflichtteils von 75.000 Euro verbleibt eine Pflichtteilsergänzung von 55.000 Euro.
Hierauf wird nun das Eigengeschenk der T von 20.000 Euro angerechnet, ihr verbleibt somit nur noch ein Ergänzungspflichtteil von 35.000 Euro.
Der ordentliche und der ergänzte Pflichtteil betragen zusammen 110.000 Euro.

 

Berechnungsbeispiel 2: 

Wie Beispiel 1, T hat allerdings ebenso wie S zu Lebzeiten einen Geldbetrag von 200.000 Euro erhalten. Der Gesamtpflichtteil beläuft sich dann auf 175.000 Euro [(300.000 Euro + 200.000 Euro + 200.000 Euro) : 4]. Nach Abzug des ordentlichen Pflichtteils von 75.000 Euro beträgt der Ergänzungspflichtteil somit 100.000 Euro. Der Wert des Eigengeschenkes übersteigt jedoch diesen Betrag, so dass ein Pflichtteilsergänzungsanspruch entfällt.
Es bleibt beim Anspruch auf den ordentlichen Pflichtteil von 75.000 Euro. Auf diesen wird das Eigengeschenk nicht angerechnet.

Welche Fristen muss ich beim Pflichtteilsergänzungsanspruch beachten?

 

  • Verjährung

Pflichtteils und Pflichtteilsergänzungsansprüche sowie die vorbereitenden Ansprüche auf Auskunft und Wertermittlung (§ 2314 BGB) verjähren einheitlich in drei Jahren. Diese Frist beginnt erst mit dem Schluss des Jahres zu laufen, in dem der Pflichtteilsberechtigte Kenntnis vom Erbfall, der ihn beeinträchtigenden Verfügung und von der Person seines Pflichtteilschuldners erlangt hat.
Beim Pflichtteilsergänzungsanspruch muss als "anspruchsgebründender Umstand" auch noch die Kenntnis von den Schenkungen des Erblassers hinzukommen.
Dabei muss der Gläubiger allerdings nicht alle Einzelheiten seines Anspruchs überblicken; es reicht, wenn der Sachverhalt erhebliche Anhaltspunkte für Schenkungen bietet und der Pflichtteilsberechtigte die Vorgänge in seinen Grundzügen kennt (OLG München, ZErb 2019, 257).

Die Verjährungsfrist des dem Pflichtteilsberechtigten nach § 2329 BGB gegen den Beschenkten zustehenden Ergänzungsanspruchs beginnt dagegen kenntnisunabhängig schon mit dem Erbfall. Es gilt also das Stichtagsprinzip, der Todesag des Erblassers ist maßgeblich.

  • Ausschluss- bzw. Zehnjahresfrist

Schenkungen bleiben grundsätzlich unberücksichtigt und sind nicht ergänzungspflichtig, wenn zur Zeit des Erbfalles zehn Jahre "seit der Leistung des verschenkten Gegenstandes verstrichten" sind.
Nach ständiger „Genuss-Rechtsprechung“ des Bundesgerichtshofs (stRspr. seit BGHZ 125, 395 = NJW 1994, 1791) liegt eine "Leistung" erst dann vor,

„wenn der Erblasser nicht nur seine Rechtsstellung als Eigentümer endgültig aufgibt, sondern auch darauf verzichtet, den verschenkten Gegenstand – sei es aufgrund vorbehaltener dinglicher Rechte oder durch Vereinbarung schuldrechtlicher Ansprüche – im Wesentlichen weiterhin zu nutzen.“

Erfolgt also eine Schenkung unter Vorbehalt von Nutzungsrechten, läuft die Frist u.U. nicht an und unterliegt die Schenkung der Pflichtteilsergänzung mit ihrem vollen Wert.

  • Abschmelzungsfrist bzw. Pro-Rata-Regelung

Seit der Erbrechtsreform im Jahr 2010 gilt darüber hinaus das sogenannte „Abschmelzungsmodell“ (§ 2325 Abs. 3 BGB). Auch hier ist der Stichtag der Todestag des Erblassers. Nur Schenkungen innerhalb eines Jahres vor seinem Tod werden vollständig in die Pflichtteilsberechnung einbezogen. Die zehnprozentige, jährliche Abschmelzung beginnt also erst nach Ablauf des ersten Jahres vor dem Erbfall. Lag eine Schenkung zum Beispiel zweieinhalb Jahre vor dem Erbfall, so beträgt die Abschmelzung 20 Prozent.

Allerdings beginnt auch hier die Pro-Rata-Abschmelzung erst mit der "Leistung des verschenkten Gegenstandes" zu laufen.
Die Abschmelzungsregelung greift somit dann nicht, wenn Schenkungen unter Nutzungsvorbehalten des Schenkers erfolgen.

Dies sind vor allem die Grundstücksschenkungen gegen Nießbrauchsvorbehalt

Umstritten ist die Anwendbarkeit des Abschmelzmodells bei Immobilienübertragungen gegen Einräumung eines Wohnungsrechts.
Der Bundesgerichtshof hat jetzt mit Urteil vom 29.06.16 (IV ZR 474/15) eine Abschmelzung für den Regelfall verneint: „Ein vorbehaltenes Wohnungsrecht steht einer „Leistung“ i.S.d. § 2325 Abs. 3 BGB regelmäßig nicht entgegen“, so dass die Abschmelzungsfrist mit dem Vollzug der Schenkung zu laufen beginnt. Bestehe das im Wohnungsrecht verankerte Ausschließungsrecht „nur an Teilen der übergebenen Immobilie, so ist der Erblasser – anders als beim Vorbehalt des Nießbrauchs – mit Vollzug des Übergabevertrages nicht mehr als „Herr im Haus“ anzusehen.“

  • Fristlauf bei Ehegatten erst ab Auflösung der Ehe

Um einem Missbrauch vorzubeugen, beginnt bei Schenkungen unter Eheleuten eine Abschmelzung oder die 10-jährige Ausschlussfrist nicht vor der Auflösung der Ehe zu laufen (§ 2325 Abs. 3 S. 3 BGB). Wird eine Ehe erst durch den Tod eines der Eheleute aufgelöst, sind alle während der gesamten Ehezeit vom Erblasser an den überlebenden Ehegatten getätigten Schenkungen ergänzungspflichtig. Da diese möglicherweise Jahrzehnte zurückliegen, ist die Aufklärung und Beweisführung natürlich hier besonders schwierig.
Es findet auch keine Abschmelzung statt; im Gegenteil: Schenkungen, die ggf. sogar Jahrzehnte zurückliegen, wären sogar noch anhand des Verbraucherpreisindex zu indexieren. 

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