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Pflichtteil zu Lebzeiten auszahlen lassen

Um eins vorab klarzustellen: Zu Lebzeiten des Erblassers bestehen keinerlei Ansprüche, auch nicht auf Auskunft, schon gar nicht auf Rechenschaft. Denn ein Pflichtteilsanspruch entsteht erst mit dem Tod des Erblassers, also dem Erbfall.

Dies hindert den Pflichtteilsberechtigten und den späteren Erblasser jedoch nicht, durch Vertrag andere Lösungen zu finden, um einen erst in Zukunft entstehenden Pflichtteil einvernehmlich vorwegzunehmen.

Das Wichtigste in Kürze

Es gibt keine Möglichkeit, den Pflichtteil schon zu Lebzeiten des späteren Erblassers einseitig einzufordern oder gar einzuklagen!

Der künftige Erblasser und der Pflichtteilsberechtigte können jedoch durch Vertrag den späteren Pflichtteil vorzeitig regeln und „erfüllen“:

  • Durch einen Pflichtteilsverzichts­vertrag kann der erst mit dem Tod des Erblassers entstehende Pflichtteilsanspruch einvernehmlich modifiziert oder beseitigt werden. In der Regel erhält der Pflichtteilsberechtige als Gegenleistung für seinen Verzicht einen bestimmten Geldbetrag als „Abfindung“.
  • In einem Schenkungsvertrag kann der spätere Erblasser aber auch einzelne Vermögensgegenstände auf den Pflichtteilsberechtigten übertragen und dabei bestimmen, dass der Wert des Geschenks auf den Pflichtteil angerechnet werden soll. Der Erblasser kann sogar Ausgleichung und Anrechnung kumulativ anordnen.

In beiden Fällen wirken der künftige Erblasser und der Pflichtteilsberechtigte also einvernehmlich zusammen.

1. Durch Pflichtteilsverzichtsvertrag den späteren Pflichtteil zu Lebzeiten abfinden

Um einen zukünftigen Pflichtteil schon lebzeitig "zu Geld zu machen", ist der Pflichtteilsverzichtsvertrag die in der Praxis häufigste Gestaltungsform.
Im Rahmen eines solchen Vertrags, der vor einem Notar abgeschlossen werden muss, verzichtet der Pflichtteilsberechtigte auf sein Pflichtteilsrecht und wird als Gegenleistung für diesen Verzicht regelmäßig mit einer frei auszuhandelnden Abfindung in Geld "entschädigt".

Der Pflichtteilsberechtigte erhält auf diese Weise "schnelles Geld" und der Erblasser seine Testierfreiheit zurück. Er braucht bei seiner Nachfolgegestaltung keine Rücksicht mehr auf eventuelle Ansprüche des Pflichtteilsberechtigten zu nehmen, entlastet seinen späteren Erben von unangenehmen Auskunfts- und Zahlungsansprüchen und muss sich nicht mehr um "Tricksereien" zur Pflichtteilsreduzierung kümmern.

Können die Vertragsparteien dagegen keine Einigung erzielen, dann wird der Vertrag eben nicht geschlossen. Der Pflichtteilsberechtigte bekommt kein Geld, und der Erblasser bleibt in seiner Testierfreiheit erheblich beschränkt.

Ein Pflichtteilsverzicht kann gegenständlich beschränkt werden. So kann etwa bei Vermögensübertragungen an andere Abkömmlinge oder im Rahmen einer Unternehmensnachfolge vereinbart werden, dass der Pflichtteil auf einen bestimmten Höchstbetrag festgelegt wird oder dass bestimmte Gegenstände oder ein Inbegriff von Gegenständen (Handelsgeschäft) bei der Berechnung der Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche außer Betracht bleiben. Möglich ist auch eine Beschränkung des Verzichts auf den Ergänzungs- oder Zusatzpflichtteil, ebenso auf einen Bruchteil.

Welchen Betrag der Pflichtteilsberechtigte für seinen Verzicht bekommt, ist zwischen dem künftigen Erblasser und dem Pflichtteilsberechtigter absolut frei aushandelbar. Es kann auch auf eine Abfindung ganz verzichtet werden.
Zu beachten ist jedoch, dass Erb- und Pflichtteilsverzichtsverträge einer Inhaltskontrolle durch die Gerichte unterliegen. So kann etwa ein erhebliches Ungleichgewicht der Vereinbarung zulasten des Verzichtenden zur Sittenwidrigkeit und damit Unwirksamkeit des Verzichts führen (vgl. etwa den besonders krassen Fall des OLG Hamm, Urt. v. 08.11.16, 10 U 36/15).

  • Der spätere Erblasser ist nicht verpflichtet, sein aktuelles Vermögen offenzulegen, so dass es für den Pflichtteilsberechtigten schwer sein kann, einzuschätzen, ob der angebotene Betrag angemessen ist. Wenn er nach dem Erbfall feststellt, dass sein Pflichtteil viel höher gewesen wäre, hat er in aller Regel keine Ansprüche mehr. Nur in seltenen Ausnahmefällen lässt die Rechtsprechung eine Anfechtung des Pflichtteilsverzichtsvertrags zu.

Auf eine geleistete Abfindung hat der Pflichtteilsberechtigte Schenkungsteuer zu bezahlen, wenn die Freibeträge überschritten werden!

Häufig bieten sich Pflichtteilsverzichtsverträge im Falle von bindend gewordenen Berliner Testamenten an, um zusammen mit einem bereits entstandenen Pflichtteilsanspruch auch noch den dereinstigen Pflichteil nach dem überlebenden Elternteil zu regeln.

Beispiel: Pflichtteilsverzicht beim "Berliner Testament" 

F und M haben in einem Berliner Testament sich gegenseitig zu Alleinerben und Kind T zur Schlusserbin nach dem Längerlebenden eingesetzt. Kind S ist nach beiden Erbfällen enterbt. M stirbt.
Hier kann S den Pflichteil nach dem erstverstorbenen M gegenüber F einfordern. Den erst in ungewisser Zukunft entstehenden Pflichtteil nach F kann er dagegen noch nicht verlangen.
Gleichwohl können S und F nun versuchen, eine Gesamtlösung zu finden und vor einem Notar einen Vertrag beurkunden, in dem der S auf sein Pflichtteilsrecht gegenüber F verzichtet und zur Erledigung des Plichtteilsanspruchs nach M einerseits sowie zur "Abgeltung" seines Pflichtteilsanspruchs nach F andererseits einen zu vereinbarenden Gesamtbetrag ausbezahlt erhält.

  Erbschaftsteuer & Schenkungsteuer - Ausführliche Informationen

2. Durch lebzeitige Schenkungen den späteren Pflichtteil reduzieren

Lebzeitige Zuwendungen, die der Pflichtteilsberechtigte selbst vom Erblasser erhalten hat, hat er sich nur in zwei Fällen auf seinen Pflichtteil anrechnen zu lassen:

  • Auf den  ordentlichen Pflichtteilsanspruch  die Werte sämtlicher Zuwendungen, bei denen der Erblasser vor oder bei der Zuwendung die Anrechnung auf den Pflichtteil angeordnet hat;
  • auf den  Pflichtteilsergänzungsanspruch  sämtliche Werte aller Geschenke, die der Pflichtteilsberechtigte selbst vom Erblasser erhalten hat. War bei einem Geschenk die Anrechnung angeordnet, ist der Wert auf den Gesamtpflichtteil (Pflichtteil und Ergänzung) anzurechnen.

Eine Anrechnungsbestimmung wird häufig vergessen oder ist nicht nachweisbar. Es sollte daher im Schenkungsvertrag ausdrücklich und schriftlich geregelt werden, ob der Wert des Geschenks auf den Pflichtteil angerechnet werden soll und ggf. mit welchem Betrag.

Achtung: Eine nachträgliche Anrechnungsvereinbarung stellt einen beurkundungspflichtigen Pflichtteilsverzichtsvertrag dar, ebenso die Vereinbarung eines Anrechnungsbetrages, der den Wert des Geschenks übersteigt.
Eine nachträgliche Anrechnung kann zulasten eines Pflichtteilsberechtigten in einer Verfügung von Todes wegen nicht angeordnet werden.

  Der Pflichtteilsergänzungsanspruch - Ausführliche Informationen

3. Wie werden Schenkungen auf den Pflichtteil angerechnet?

Es ist zu differenzieren, ob der Erblasser bei einer Zuwendung die Anrechnung auf den Pflichteil angeordnet hat oder nicht:

Anrechnung nach Anrechnungsbestimmung

Hat der Erblasser die Anrechnung von Geschenken auf den Pflichtteil angeordnet, so wird der Wert des Eigengeschenks nicht einfach vom Pflichtteil abgezogen, sondern ist folgende Berechnung vorzunehmen:

  1. Wert des realen Nachlasses + Wert des Eigengeschenks = Anrechnungsnachlass
  2. Anrechnungsnachlass x Pflichtteilsquote = Pflichtteil vor Anrechnung
  3. Pflichtteil vor Anrechnung – Wert des Eigengeschenks = (restlicher) Pflichtteilsanspruch

Berechnungsbeispiel: Pflichtteilsanrechnung 

Das einzige Kind macht 2020 gegen den überlebenden Ehepartner Pflichtteilsansprüche geltend (Pflichtteilsquote: 1/4). Der Wert des Nachlasses beträgt 300.000 €. Im Jahr 2000 hatte der Erblasser dem Kind einen Betrag von 60.000 € (inflationsbereinigt) mit dem Verwendungszweck „Schenkung unter Anrechnung auf den Pflichtteil“ überwiesen.

  1. Anrechnungsnachlass: 300.000 € + 60.000 € = 360.000 €
  2. Pflichtteil vor Anrechnung: 360.000 € x ¼ = 90.000 €
  3. Pflichtteilsanspruch: 90.000 € - 60.000 € = 30.000 €

Das Kind hat also "nur" noch einen Pflichtteilsanspruch von 30.000 €. Ohne Anrechnungsbestimmung hätte der Pflichteil 75.000 € betragen (¼ x 300.000 €).

 

Achtung:

  • Was viele nicht wissen: Bei der Anrechnung spielt die 10-Jahresfrist für Schenkungen (§ 2325 BGB) keine Rolle, und es findet auch keine Abschmelzung statt. Ist ein Geschenk anzurechnen, wird es mit dem vollen Wert angerechnet, auch noch nach Jahrzehnten.
  • Das Geschenk wird mit dem Wert angesetzt, der sich unter Berücksichtigung der Geldentwertung ergibt. Der damalige Wert ist also anhand des Verbraucherpreisindex (VPI) auf den Todestag umzurechnen (Indexierung).

Anrechnung ohne Anrechnungsbestimmung

Hat der Erblasser keine Anrechnungsbestimmung getroffen, erfolgt eine Anrechnung nur auf den eventuellen Pflichtteilsergänzungsanspruch. Der ordentliche Pflichtteilsanspruch bleibt ungekürzt. 

Hier ist dann wie folgt zu rechnen:

  1. Wert des realen Nachlasses + Wert der Geschenke an Dritte + Wert des Eigengeschenks = fiktiver Nachlass
  2. fiktiver Nachlass x Pflichtteilsquote = Gesamtpflichtteil
  3. Gesamtpflichtteil – ordentlicher Pflichtteil = Ergänzungspflichtteil
  4. Ergänzungspflichtteil - Wert des Eigengeschenks = (restlicher) Pflichtteilsergänzungsanspruch 

Berechnungsbeispiel: Anrechnung auf Pflichtteilsergänzung 

Erblasser E hat seine Freundin F zur Alleinerbin eingesetzt. Sein einziges Kind K macht nun gegen F Pflichtteilsansprüche geltend.
Der Wert des Nachlasses beträgt 300.000 €. Im Jahre 2000 hatte E dem K einen Betrag von 60.000 € geschenkt, später schenkte er der F 80.000 € (jeweils inflationsbereinigt).

Zunächst steht dem K der ordentliche Pflichtteil i.H.v. 150.000 € zu (300.000 € x 1/2).
In welcher Höhe kann er Pflichtteilsergänzung verlangen?

  1. Fiktiver Nachlass: 300.000 € + 60.000 € + 80.000 = 440.000 €
  2. Gesamtpflichtteil: 440.000 € x 1/2 (Pflichtteilsquote) = 220.000 €
  3. Ergänzungspflichtteil: 220.000 € (Gesamtpflichtteil) – 150.000 € (ordentlicher Pflichtteil) = 70.000 €
  4. Pflichtteilsergänzungsanspruch: 70.000 - 60.000 € (Wert des Eigengeschenks) = 10.000 € 

K kann von F also insgesamt die Zahlung eines Betrags i.H.v. 160.000 € verlangen.

Abwandlung: Hätte F lediglich eine Schenkung i.H.v. 40.000 € erhalten, hätte K keinen Pflichtteilsergänzungsanspruch gegen F, da der Wert seines Eigengeschenks (60.000 €) den Ergänzungspflichtteil (50.000 €) übersteigt.
Der "Mehrbetrag" seines Geschenks (10.000 €) ist weder herauszugeben noch auf den ordentlichen Pflichtteil anzurechnen.
Er wäre lediglich dann auch  auf den Pflichtteil anzurechnen, wenn der E - wie im ersten Beispiel - vor oder bei der Schenkung der 60.000 € die Anrechnung angeordnet hätte. In einem solchen Fall wäre der Wert des Eigengeschenks vom Gesamtpflichtteil abzuziehen.

4. Was kann ich tun, wenn eine Einigung zu Lebzeiten nicht möglich ist?

Kommt es zu keiner Vereinbarung zwischen dem Erblasser und dem Pflichtteilsberechtigten, dann kann der Pflichtteilsberechtigte nichts tun!
Er muss sich gedulden und kann nur schlicht auf den Erbfall warten. Allenfalls kann beginnen, Unterlagen und Informationen über die Zusammensetzung und den Wert des Nachlasses zu sammeln.

Hat der Erblasser „vergessen“, eine Anrechnungsbestimmung bei einer Schenkung zu treffen, so kann er sie nicht nachholen. Er kann aber sein Vermögen durch geschickte Gestaltungen in den „Pflichtteilsergänzungsnachlass auslagern“ und so doch erreichen, dass Geschenke den Pflichtteil schmälern.

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