24.11.2004
Klage des Pflichtteilsberechtigten auf Ergänzung eines Wertermittlungsgutachtens
Dem Pflichtteilsberechtigten steht gem. § 2314 I 2 BGB ein neben dem Auskunftsanspruch stehender, eigenständiger Wertermittlungsanspruch zu, sofern die Zugehörigkeit des zu schätzenden Gegenstandes zum Nachlass unstreitig ist oder vom Pflichtteilsberechtigten bewiesen wird (BGH, NJW 1986, 1755).
In der Praxis erfolgt die Wertermittlung in der Regel mit Hilfe eines Sachverständigengutachtens. Im Fall des OLG Karlsruhe hatte der Sachverständige weder eine Ortsbesichtigung durchgeführt noch die verschiedenen Bewertungsverfahren der Wertermittlungsverordnung (WertV) berücksichtigt. Das Gericht hatte deshalb zu prüfen, welche Anforderungen an ein Wertermittlungsgutachten zu stellen sind.
Die Auswahl des Sachverständigen bestimmt allein der Erbe; ein Anspruch auf das Gutachten eines amtlich bestellten und vereidigten Sachverständigen besteht dabei nicht. Er muss aber unparteiisch und qualifiziert sein (BGH, NJW 1984, 487); hierfür trägt der Erbe die Be-weislast (Bißmaier, ZEV 1997, 149). Das Wertermittlungsgutachten hat vorrangig den Zweck, dem Pflichtteilsberechtigten ein umfassendes Bild vom Nachlass zu verschaffen, um die Kosten und Erfolgsaussichten eines Pflichtteilsprozesses einschätzen zu können (OLG Düsseldorf, ZEV 1996, 431).
Die inhaltlichen Anforderungen an ein Wertgutachten i.S. des § 2314 I 2 BGB haben sich an diesem Zweck zu orientieren: Kommen für die Wertermittlung verschiedene Methoden in Betracht, so darf sich der Sachverständige nicht auf ein ganz bestimmtes Verfahren beschränken, sondern muss die Werte nach allen, ernsthaft in Erwägung zu ziehenden Bewertungsverfahren ermitteln und sich damit inhaltlich auseinander setzen (OLG München, NJW-RR 1988, 390; KG, KGReport 1999, 90).
Nach Auffassung des BGH (NJW 1989, 2887) darf die praktische Bedeutung dieser Wertgutachten aber nicht überschätzt werden, da Meinungsverschiedenheiten über Wertansätze durch sie nicht entschieden werden können und deshalb im Rechtsstreit weitere Gutachten erfahrungsgemäß nicht zu vermeiden sind. Hieraus hat das OLG Karlsruhe geschlossen, dass die Anforderungen an ein Wertgutachten i.S. des § 2314 BGB geringer sind als bei Gutachten in anderen Fällen und deshalb die Klage auf Ergänzung des Gutachtens abgewiesen.
Praxishinweis: Die Begründung des OLG Karlsruhe überzeugt nicht. Der Berater sollte sich deshalb nicht davon abhalten lassen, in ähnlich gelagerten Fällen eine Ergänzung des Gutachtens einzufordern. Die Wertermittlungsverordnung (WertV) gilt unmittelbar zwar nur für Bewertungen durch den Gutachterausschuss (§§ 194 ff. BauGB), enthält aber allgemein anerkannte und grundsätzlich zu beachtende Bewertungsgrundsätze (vgl. BGH, NJW-RR 2001, 732; NJW 1991, 2698). Die – empirisch nicht belegte – Behauptung, dass im Pflichtteilsprozess häufig weitere Gutachten eingeholt werden müssen, rechtfertigt es nicht, die Anforderung an ein Wertgutachten i. S. des § 2314 I 2 BGB zu senken. Die Ermittlung des Verkehrswerts ist letztlich als Ermessensentscheidung von der Erfahrung und Sachkunde des Sachverständigen abhängig. Fiedler (ZEV 2004, 469) fordert daher zu Recht, dass der Gutachter den Bewertungsgegenstand selbst in Augenschein nehmen muss und sich nicht auf Angaben des Erben verlassen darf.
OLG Karlsruhe, Urteil vom 9.7.2004 – 1 U 206/03 = ZEV 2004, 468 m. Anm. Fiedler (nicht rechtskräftig)← zurück