Beweisfragen zur Wirksamkeit von Testamenten
Die Regeln zur Beweis- und Feststellungslast ermöglichen im Rechtsstreit über die Frage der Gültigkeit eines Testaments bisweilen überraschend erfolgreiche Angriffe bzw. Konter und sollten daher im Waffenarsenal eines Erbrechtlers nicht fehlen.
I. Testierfähigkeit (§ 2229 IV BGB)
Grundsätzlich gilt jedermann, der das 16. Lebensjahr vollendet hat, solange als testierfähig, bis das Gegenteil zur vollen Überzeugung des Gerichts bewiesen ist (BGH, NJW 1955, 1714). Die Beweislast für die Testierunfähigkeit trifft daher denjenigen, der sich auf sie beruft, in der Regel also den gesetzlichen Erben (BayObLG, FamRZ 1989, 1346; Palandt/Edenhofer, BGB, 64. Aufl., 2005, § 2229 Rdnr. 10). Bei nicht behebbaren Zweifeln muss das Gericht von der Testierfähigkeit ausgehen (BayObLG, NJW-RR 1996, 1160).
Eine Bejahung der Geschäfts- und Testierfähigkeit nach § 28 BeurkG durch den Notar hat für die Frage der Testierfähigkeit lediglich Indizwirkung und steht der Führung des gegenteiligen Beweises – regelmäßig durch neurologisch-psychiatrische Sachverständigengutachten – nicht entgegen (OLG Frankfurt a. M., NJW-RR 1998, 870).
Testamente, die von einem Bewusstseinsgestörten in einem so genannten „lichten Augenblick“ errichtet werden, sind wirksam. Ist grundsätzliche Testierunfähigkeit nachgewiesen, trifft die Beweislast für das „lucidum intervallum“ den dies Behauptenden (BGH, NJW 1959, 1822). War der Erblasser bei einem eigenhändigen undatierten Testament während des fraglichen Zeitraums der Errichtung wenigstens vorübergehend testierunfähig, geht dies analog § 2247 V 1 BGB zu Lasten desjenigen, der sich auf die Gültigkeit seiner testamentarischen Erbeinsetzung beruft (BayObLG, NJW-RR 2003, 297).
Zu Lebzeiten des Erblassers ist eine Feststellungsklage Dritter zur Frage der Testierfähigkeit unzulässig, da in diesem Stadium nur eine Erwerbsaussicht, aber noch kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis besteht (Soergel/Mayer, 13. Aufl., 2003, BGB, § 2229 Rdnr. 41). Entsprechendes gilt für die Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens über die Testierfähigkeit (OLG Frankfurt a. M., FamRZ 1997, 1021).
II. Testierwille
Der Wille, eine letztwillige Verfügung errichten zu wollen, ist entscheidend für die Abgrenzung zum bloßen Entwurf oder anderen unverbindlichen Äußerungen. Die Beweislast für den Testierwillen liegt bei demjenigen, der aus dem Schriftstück Rechte herleitet (KG, FamRZ 1991, 486). Liegt ein formgerecht abgefasstes und inhaltlich vollständiges privatschriftliches Testament vor, wird der Testierwille auf Grund der Lebenserfahrung vermutet (BayObLG, FamRZ 1992, 724). Diese tatsächliche Vermutung ist aber erschüttert, wenn weitere Einzelfallumstände (z.B. ungewöhnlicher Schriftträger) Anlass zu ernstlichen Zweifeln am Testierwillen geben.
Andererseits können besondere Umstände die Erschütterung des Erfahrungssatzes wieder entfallen lassen (instruktiv Voit, in: Dittmann/Reimann/Bengel, Testament und Erbvertrag, 4. Aufl., 2002, § 2247 Rdnr. 6). So kann etwa bei einem formgültigen Testament unter Verwendung eines Briefumschlags ein Testierwille zu bejahen sein (BayObLG, FamRZ 1992, 226), bei einer Niederlegung im Notizbuch hingegen nicht (BayObLG, NJWE-FER 2000, 126).
III. Echtheit und Formwirksamkeit
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ein nach § 2247 I BGB formgerechtes privatschriftliches Testament auch echt ist. Verbleiben nach ausreichenden Ermittlungen aber Zweifel, ob die Testamentsurkunde vom Erblasser selbst stammt, so muss deren Echtheit, also insbesondere die Eigenhändigkeit des geschriebenen Textes, etwaiger Ergänzungen und der Unterschrift derjenige beweisen (in der Regel durch ein graphologisches Gutachten oder Zeugen), der Rechte aus diesem Testament herleitet (BayObLG, ZEV 1994, 369). Entgegen der bequemlichen Praxis mancher Nachlassgerichte kommt im Erbscheinsverfahren die von Beteiligten beantragte Anordnung eines Zweitgutachtens gem. § 15 I FGG (jetzt § 30 FamFG), § 412 ZPO nur ganz ausnahmsweise in Betracht (etwa wenn das Erstgutachten grobe Mängel aufweist, BayObLG, NJOZ 2004, 3820).
Steht nur die Eigenhändigkeit der Unterschrift fest, ist dies bloß ein Indiz, aber kein Beweis für die Eigenhändigkeit des gesamten Testaments, da die §§ 416, 440 II ZPO, die nur eine Vermutung für die Echtheit, nicht aber für die Formgültigkeit aufstellen, insoweit nicht gelten (Palandt/Edenhofer, § 2247 Rdnr. 20). Die eigenhändige Orts- oder Datumsangabe hat die Vermutung der Richtigkeit für sich (BayObLG, NJW-RR, 1992, 1225).
IV. Unauffindbares Testament
Zum Nachweis eines testamentarischen Erbrechts ist gem. §§ 2355, 2356 I 1 BGB grundsätzlich die Originalurkunde vorzulegen, auf die das Erbrecht gestützt wird (BayObLG, ZErb 2004, 266). Ist diese Urkunde nicht auffindbar, müssen sowohl die Existenz als auch der Inhalt des Testaments nachgewiesen werden. Hierfür stehen alle zulässigen Beweismittel (Kopie, Durchschrift, Abschrift, Zeugen, Sachverständige) zur Verfügung, wobei an den Nachweis strenge Anforderungen zu stellen sind (BayObLG, FamRZ 1990, 1162). Ist nur ein Teil eines Testamentsinhalts nicht mehr feststellbar, aber der Gesamtwille des Erblassers insoweit erkennbar, dass er auch ohne den fehlenden Teil Bestand hat und hierdurch nicht wesentlich berührt wird, ist der festgestellte Teil des Testaments wirksam (Palandt/Edenhofer, BGB, 64. Aufl., 2005, § 2255, Rdnr. 11).
Wegen der für die nachlassgerichtliche Entscheidung ausschlaggebenden Bedeutung, verdient das förmliche Beweisverfahren gem. § 15 FGG gegenüber dem Freibeweis nach § 12 FGG in der Regel den Vorzug (OLG Köln, NJW-RR 1993, 970 - jetzt geregelt in den §§ 29 ff. FamFG). Ist im Erbscheinsverfahren auch nach abschließenden Ermittlungen von Amts wegen keine sichere Feststellung möglich, trägt die Feststellungslast, wer sich auf das nicht vorlegbare Testament beruft (BayObLG, NJWE-FER 2001, 22).
V. Widerruf eines Testaments (§§ 2253 ff. BGB)
Steht fest, dass in der Vergangenheit ein wirksames Testament errichtet wurde, muss derjenige, der dieses Testament nicht gelten lassen will, den Widerruf als rechtsvernichtende Tatsache beweisen. Die Widerrufsabsicht wird – widerlegbar – vermutet, wenn der Erblasser oder eine in seinem Auftrag handelnde Person die letztwillige Verfügung verändert oder vernichtet hat (§ 2255 S. 2 BGB). Die bloße Nichtauffindbarkeit eines Testaments hingegen begründet keine tatsächliche Vermutung für die Vernichtung des Testaments durch den Erblasser (KG, NJW-RR 1995, 1099). Steht nicht fest, dass der Erblasser das unauffindbare Testament selbst vernichtet hat, müssen wenigstens Indizien wie der Nachweis einer Willensänderung des Erblassers vorliegen, um den Beweis der Vernichtung erbringen zu können (LG Duisburg, NJW-RR 2005, 884).
VI. Testamentsanfechtung (§§ 2078 ff. BGB)
Die Beweislast für einen Testamentsanfechtungsgrund nach § 2078 BGB obliegt dem Anfechtenden. Bei einer Anfechtung wegen Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten (§ 2079 BGB) muss der Anfechtende darlegen und beweisen, dass er pflichtteilsberechtigt ist, dies dem Erblasser bei Testamentserrichtung nicht bekannt war und dieser den Anfechtenden unbewusst von der Erbfolge ausgeschlossen hat. Da die Irrtumskausalität bei § 2079 BGB gesetzlich vermutet wird, muss der eingesetzte Erbe als Anfechtungsgegner beweisen, dass der Erblasser auch bei Kenntnis der Sachlage wie geschehen testiert hätte (Palandt/Edenhofer, § 2079 Rdnr. 8).
VII. Anscheinsbeweis im Erbscheinsverfahren
Die Grundsätze über den Beweis des ersten Anscheins gelten grundsätzlich auch im Erbscheinsverfahren (OLG Frankfurt a. M., NJW-RR 1998, 870). Beispielsweise begründet die Feststellung, dass der Erblasser vor und nach der Testamentserrichtung testierunfähig war, einen Anscheinsbeweis dafür, dass die Testierunfähigkeit auch bei der Errichtung des Testaments bestand. Der Testamentserbe kann diesen Anscheinsbeweis aber erschüttern, etwa wegen ernsthafter Möglichkeit eines lichten Intervalls. Für die Frage der Erheblichkeit eines Motivirrtums (§ 2078 II BGB) scheidet dagegen ein prima-facie-Beweis aus (BGH, NJW 1963, 248).
VIII. Beweisvereitelung
Treuwidrig handelt der Testamentserbe, der im Verlaufe eines Erbschaftsprozesses das ihm inhaltlich bekannte Testament vernichtet, um dem gesetzlichen Erben die Möglichkeit zu nehmen, die Formnichtigkeit des Testaments zu beweisen. Der treuwidrige Testamentserbe muss sich dann auf Grund seiner Beweisvereitelung bis zum Beweis des Gegenteils so behandeln lassen, als sei das Testament unwirksam. Vernichtet im umgekehrten Fall der gesetzliche Erbe ein Testament, um dem Testamentserben den Beweis der Formgültigkeit abzuschneiden, ist bis zum Beweis des Gegenteils von der Gültigkeit des Testaments auszugehen (Palandt/Edenhofer, § 2255 Rdnr. 12).
IX. Fazit
Bei unklarer Beweislage ist das Erbscheinsverfahren häufig der bessere Weg als eine Erbenfeststellungsklage, da das Nachlassgericht gem. § 2358 BGB verpflichtet ist, von Amts wegen die erforderlichen Ermittlungen durchzuführen und sämtliche zur Aufklärung des Sachverhalts erforderlichen Beweise zu erheben. Der Anwalt sollte aber vorsorglich sinnvolle Beweisanträge stellen und sich nicht auf die Amtsermittlung des Gerichts verlassen. Dabei wird regelmäßig auf die Erhebung eines Strengbeweises gem. § 15 FGG (vgl. jetzt §§ 29 ff FamFG) hinzuwirken sein. Wird die Wirksamkeit eines Testaments bestritten, kann es taktisch sinnvoll sein, dass der Beweisbelastete diese Frage nicht im ZPO-Verfahren (z.B. mittels Erbenfeststellungsklage), sondern im Erbscheinsverfahren klären lässt, da ihm so die Amtsermittlung des Nachlassgerichts (§ 12 FGG) zugute kommt. Zudem eröffnet ihm das FGG-Verfahren mit der Beschwerde eine zweite Tatsacheninstanz, die die ZPO leider nicht mehr kennt.
(Von Rechtsanwalt Bernhard F. Klinger, München, und Rechtsanwalt Gerhard Ruby, Villingen-Schwenningen; Quelle: NJW-Spezial 2005, Heft 7 und 8)