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12.10.2015
Erbschaftsteuer für das selbstgenutztes Haus (Familienheim)?

Steuerbefreiung für das vererbte Eigenheim auch bei Erbauseinandersetzung, Urteil des BFH vom 23.06.2015 - II R 39/13

Der Gesetzgeber gewährt bei der Schenkung- und Erbschaftsteuer verschiedene Steuervergünstigungen. Eine davon ist, dass die vom Erblasser bis zu seinem Tode selbst genutzte Immobilie steuerneutral – also ohne Inanspruchnahme von Freibeträgen oder Anfall von Erbschaftsteuer – an nahe Angehörige bei dessen Tode „vererbt“ werden kann. Für Kinder und Ehegatten gelten unterschiedliche Vorgaben. Nachfolgend werden die Regeln für Abkömmlinge dargestellt.

1. Steuerbefreiung
In dem ab 2009 geltenden Erbschaftsteuergesetz sieht der Gesetzgeber in § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG eine gänzliche Steuerbefreiung für die Vererbung der selbstgenutzte Immobilien vor. Die Vorschrift lautet:
§ 13 Steuerbefreiungen
  (1) Steuerfrei bleiben…
    4c. der Erwerb von Todes wegen des Eigentums oder Miteigentums an einem im Inland oder in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums belegenen bebauten Grundstück im Sinne des § 181 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 des Bewertungsgesetzes durch Kinder im Sinne der Steuerklasse I Nr. 2 und der Kinder verstorbener Kinder im Sinne der Steuerklasse I Nr. 2, soweit der Erblasser darin bis zum Erbfall eine Wohnung zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat oder bei der er aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert war, die beim Erwerber unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt ist (Familienheim) und soweit die Wohnfläche der Wohnung 200 Quadratmeter nicht übersteigt. Ein Erwerber kann die Steuerbefreiung nicht in Anspruch nehmen, soweit er das begünstigte Vermögen auf Grund einer letztwilligen Verfügung des Erblassers oder einer rechtsgeschäftlichen Verfügung des Erblassers auf einen Dritten übertragen muss. Gleiches gilt, wenn ein Erbe im Rahmen der Teilung des Nachlasses begünstigtes Vermögen auf einen Miterben überträgt. Überträgt ein Erbe erworbenes begünstigtes Vermögen im Rahmen der Teilung des Nachlasses auf einen Dritten und gibt der Dritte dabei diesem Erwerber nicht begünstigtes Vermögen hin, das er vom Erblasser erworben hat, erhöht sich insoweit der Wert des begünstigten Vermögens des Dritten um den Wert des hingegebenen Vermögens, höchstens jedoch um den Wert des übertragenen Vermögens. Die Steuerbefreiung fällt mit Wirkung für die Vergangenheit weg, wenn der Erwerber das Familienheim innerhalb von zehn Jahren nach dem Erwerb nicht mehr zu Wohnzwecken selbst nutzt, es sei denn, er ist aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert;

 
2. Tatbestandsmerkmale
Den Erwerb einer Wohnung, die zuvor beim Erbfall vom Erblasser genutzt wurde und beim Erwerber unverzüglich zur Selbstnutzung bestimmt ist (Familienheim), hat der Gesetzgeber besonders privilegiert. Sie kann steuerneutral, d. h. ohne Inanspruchnahme von Steuerfreibeträgen oder Anfall von Erbschaftsteuer, erworben werden, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

  • Erwerb von Todes wegen;
  • nur bestimmte Personen sind begünstigt. Kinder i.S.d. Steuerklasse I Nr. 2 (d.h. leibliche Kinder, Adoptivkinder, Stiefkinder) oder Kinder verstorbener Kinder (Enkelkinder);
  • es muss sich um ein bebautes Grundstück handeln, das sich im Inland oder EU-/EWR-Ausland befindet und auf dem sich eine zu eigenen Wohnzwecken genutzte Wohnung befindet, deren Wohnfläche 200 m² nicht übersteigen darf, die vom Erblasser im Zeitpunkt seines Todes selbst genutzt wurde oder aus zwingenden Gründen nicht mehr selber nutzen konnte;
  • Erwerb zu Allein- oder Miteigentum;
  • kein Ausschluss der Steuerbefreiung für den Erwerber, wenn er die Wohnung aufgrund letztwilliger (Testament) oder rechtsgeschäftlicher (Erbvertrag) Verfügung des Erblassers auf einen Dritten übertragen muss oder er im Rahmen der Teilung des Nachlasses die Wohnung im Rahmen der Teilung des Nachlasses auf einen Miterben überträgt und
  • Haltefrist von 10 Jahren.

 

3. Entscheidung des BFH
Der Bundesfinanzhof hat sich jüngst genauer mit der Frage befasst, wann und für wen die Steuerbefreiung für selbstgenutzte Immobilien im Erbfall greift. Insbesondere hat er die Frage beantwortet, wie schnell ein Erbe nach dem Erbfall in die Erblasserwohnung einziehen muss, um in den Genuss des Steuerprivilegs zu kommen. Ferner nimmt er in der Entscheidung dazu Stellung, ob und für wen die Steuerbefreiung greift, wenn die Nachlassimmobilie zunächst mehreren Erben in Erbengemeinschaft zufällt, diese dann aber an einen der Erben im Rahmen der Erbauseinandersetzung übergeht.
 

4. BFH-Fall
Der Entscheidung lag folgender verkürzt wiedergegebener Fall zugrunde:
Der Vater verstirbt und hinterlässt zwei Kinder: einen Sohn und eine Tochter. Der Erblasser hatte mehrere Grundstücke, unter anderem ein Zweifamilienhaus, in dem er selber eine Wohnung bewohnte. An Heiligabend 2010 verstarb der Erblasser. Der Sohn zog ca. ein Jahr später in die Wohnung des Vaters mit seiner Familie ein. Die andere Wohnung war fremdvermietet. Ein Vierteljahr nach dem Einzug – also 1 ¼ Jahre nach dem Tod - setzten die Kinder die Erbengemeinschaft nach dem Vater auseinander. Hierbei erhielt der Sohn das Zweifamilienhaus, während die Schwester andere Grundstücke zu Alleineigentum übertragen erhielt. Das Finanzamt gewährte dem Sohn zwar eine Steuerprivilegierung für die zuvor vom Vater bewohnte Wohnung, aber nur bezüglich des hälftigen Werts der Wohnung, da der Sohn nur hälftiger Miterbe war. Der Sohn klagte auf die Gewährung der vollen Begünstigung und bekam Recht.
 

5. Wie schnell muss das geerbte Haus bzw. Wohnung bezogen werden?
Bei der Steuervergünstigung sind unterschiedliche Aspekte zu berücksichtigen.
 

a. Grundsatz Einzug innerhalb von 6 Monaten
Das Haus/ die Wohnung des Erblassers muss unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern, bezogen werden. Der Erwerber (Erbe/Vermächtnisnehmer) muss innerhalb einer angemessenen Zeit nach dem Erbfall die Absicht zur Selbstnutzung der Wohnung fassen und durch den Einzug in die Wohnung manifestieren. Unverzüglich erfolgt eine Handlung nur, wenn sie innerhalb einer nach den Umständen des Einzelfalls zu bemessenden Prüfungs- und Überlegungszeit vorgenommen wird. Dies bedeutet, dass ein Erwerber zur Erlangung der Steuerbefreiung für ein Familienheim innerhalb einer angemessenen Zeit nach dem Erbfall die Absicht zur Selbstnutzung des Hauses fassen und tatsächlich umsetzen muss. Angemessen ist nach der Finanzrechtsprechung regelmäßig ein Zeitraum von sechs Monaten nach dem Erbfall. Zieht der Erwerber innerhalb dieses Zeitraums in die Wohnung ein, kann in der Regel davon ausgegangen werden, dass eine unverzügliche Bestimmung der Wohnung zur Selbstnutzung als Familienheim vorliegt. Dies wird damit begründet, dass dem Erwerber eine gewisse Bedenkzeit für den Entschluss zum Einzug zuzubilligen ist und er weitere Zeit für eine eventuelle Renovierung bzw. Gestaltung der Wohnung für eigene Wohnzwecke sowie für die notwendige Durchführung des Umzugs benötigt.
 

b. Ausnahmsweise auch längerer Zeitraum
Wird die Selbstnutzung der Wohnung erst nach Ablauf von sechs Monaten aufgenommen, kann ebenfalls noch eine unverzügliche Bestimmung zur Selbstnutzung vorliegen. Allerdings muss der Erwerber in diesem Fall gegenüber dem Finanzamt darlegen und glaubhaft machen, zu welchem Zeitpunkt er sich zur Selbstnutzung der Wohnung für eigene Wohnzwecke entschlossen hat, aus welchen Gründen ein tatsächlicher Einzug in die Wohnung nicht früher möglich war und warum er diese Gründe nicht zu vertreten hat. Solche Gründe können z.B. vorliegen, wenn sich der Einzug wegen einer Erbauseinandersetzung zwischen Miterben oder wegen der Klärung von Fragen zum Erbanfall und zu den begünstigten Erwerbern über den Sechsmonatszeitraum hinaus um einige weitere Monate verzögert. Umstände im Einflussbereich des begünstigten Erwerbers, die nach Ablauf des Sechsmonatszeitraums zu einer längeren Verzögerung des Einzugs führen (wie z.B. eine Renovierung der Wohnung), sind nur unter besonderen Voraussetzungen nicht dem Erwerber anzulasten. Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn sich die Renovierung deshalb länger hinzieht, weil nach Beginn der Renovierungsarbeiten ein gravierender Mangel der Wohnung entdeckt wird, der vor dem Einzug beseitigt werden muss. Je größer der zeitliche Abstand zwischen dem Erbfall und dem tatsächlichen Einzug des Erwerbers in die Wohnung ist, umso höhere Anforderungen sind an die Darlegung des Erwerbers und seine Gründe für die verzögerte Nutzung der Wohnung für eigene Wohnzwecke zu stellen.
 

6. Kommt die Steuerbefreiung allen Erben zugute oder nur dem, der die Immobilie im Wege der Erbauseinandersetzung  erhält und in sie einzieht?
Erhält ein Erbe im Rahmen der Teilung des Nachlasses begünstigtes Vermögen, wird er steuerlich so gestellt, als habe er von Anfang an begünstigtes Vermögen erhalten (BTDrucks 16/11107, S. 9).  Im zu entscheidenden Fall war dem Sohn also hinsichtlich der gesamten Wohnung und nicht nur bezüglich der halben Wohnung die Steuerprivilegierung zu gewähren.
 

7. Wie schnell muss die Erbauseinandersetzung vollzogen werden, um in den Genuss der Steuerprivilegierung zu kommen?
Es kommt nur darauf an, dass der erwerbende Erwerber (Erbe) die vormals vom Erblasser genutzte Wohnung innerhalb angemessener Zeit für eigene Wohnzwecke nutzt. Der Steuervorteil ist unabhängig davon zu gewähren, ob die Erbauseinandersetzung zeitnah zum Erbfall erfolgt. Eine zeitliche Nähe zum Erbfall ist für die Teilung des Nachlasses nicht vorgeschrieben. Entgegen der bisherigen Auffassung der Finanzverwaltung kann deshalb bei einer freien Auseinandersetzung von Erbengemeinschaften eine Begünstigung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c Satz 4 ErbStG auch zu gewähren sein, wenn die Auseinandersetzungsvereinbarung nicht innerhalb von sechs Monaten nach dem Erbfall abgeschlossen wird (entgegen H E 13.4 „Freie Erbauseinandersetzung“ Hinweise zu den ErbStR 2011).

Tipp vom Fachanwalt für Erbrecht:
Das Steuerprivileg kann nicht nur Kindern sondern auch Ehegatten und Lebenspartnern zugute kommen, dies dann sogar ohne Wohnflächenbeschränkung. Nicht nur im Erbfall gewährt das Erbschaftsteuergesetz eine Steuervergünstigung für die selbst bewohnte Immobilie. Lebzeitige Übertragungen unter Ehegatten  sind sogar ohne die im Erbfall vorgesehene Haltefrist von 10 Jahren möglich, ohne dass dadurch Steuer ausgelöst würde (§ 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG) und können zur Steueroptimierung ausgenutzt werden.

Wie lange die Steuervergünstigung noch besteht, ist offen. Auch in der vorstehenden Entscheidung hat der BFH zum Ausdruck gebracht, dass er erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG hat.



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