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28.04.2017
Testierunfähigkeit und Blindheit

Wer muss was beweisen?

Das Amtsgericht Neuss (AZ 132 VI 46/16 - noch nicht veröfffentlicht) hatte sich in einer (sehr ausführlich begründeten) Entscheidung mit der Frage auseinanderzusetzen, unter welchen Voraussetzungen man von dem Nachweis der Testierunfähigkeit und dem Nachweis der Blindheit ausgehen kann. Ein Testament kann nämlich nur jemand errichten, der testierfähig ist. Gleichzeitig darf der Testamentsverfasser nicht blind sein.

Der zu entscheidende Fall

In dem entschiedenen Fall hatte eine später verstorbene Person, die bettlägerig und massiv in ihrer Sehfähigkeit beeinträchtigt war, mit der Hand kurz hintereinander 2 Testamente geschrieben. Die eingesetzte Erbin hatte einen Erbscheinsantrag gestellt. Eine als gesetzliche Erbin in Betracht kommende nahe Verwandte der Erblasserin hatte sich dagegen zur Wehr gesetzt und einen eigenen Erbscheinsantrag gestellt. Sie bestritt einerseits die Testierfähigkeit der Erblasserin, andererseits führte sie Blindheit als Argument gegen die Wirksamkeit dieser Testamente an.

Zur Frage der Testier(un)fähigkeit

Das Amtsgericht Neuss machte in seiner Entscheidung deutlich, dass von der gesetzlichen Vermutung her man grundsätzlich von der Testierfähigkeit eines Erblassers ausgeht. Testierunfähig sei jemand, der aufgrund krankhafter Störung der Geistestätigkeit, Geistesschwäche oder Bewusstseinsstörung nicht fähig sei, die Bedeutung der von ihm abgegebenen Erklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln. Dies ist definiert in § 2229 Abs. 4 BGB. Ausgeschlossen sei eine freie Willensbildung bei einem Wegfall der Fähigkeit zum Handlungsentschluss aufgrund vernünftiger, der allgemeinen Verkehrsauffassung entsprechender Würdigung der gegebenen Verhältnisse infolge des übermächtigen, beherrschenden Einflusses von krankheitsbedingten Vorstellungen, Empfindungen oder der Einflüsse dritter Personen, denen der Betroffene widerstandslos ausgeliefert sei. Im Vordergrund stehe dabei die Fähigkeit zum freien Willensentschluss.

Testierunfähigkeit als Ausnahmetatbestand

Die Testierunfähigkeit sei ein Ausnahmetatbestand von der im Gesetz als Normalfall angesehenen Testierfähigkeit. Demnach müsse derjenige die Testierunfähigkeit beweisen, der sich auf die Abweichung von diesem Normalzustand beruft. Hierbei seien an den Beweis der Testierunfähigkeit sehr strenge Anforderungen zu stellen. Im vorliegenden Fall war im Rahmen eines Betreuungsverfahrens von einem Gutachter ausdrücklich die Fähigkeit der Erblasserin zu einer freien Willensbildung festgestellt worden.

Zur Wirksamkeit der Testamentserrichtung

Hier war eingewandt worden, dass die Erblasserin nicht hätte lesen und damit gemäß § 2247 Abs. 4 BGB kein wirksames Testament hätte errichten können.

Auch an diesem Punkt traf die nahe Verwandte die sogenannte Feststellungslast, da sie sich auf diesen Ausnahmetatbestand berief. Im Rahmen des Verfahrens waren Unterlagen vorgelegt und Gutachten eingeholt worden, die zwar eine hochgradige Sehbehinderung der Erblasserin feststellten. Die Erblasserin bzw. ihr Betreuer hatte aber Blindengeld beantragt, was mangels Nachweises der Blindheit abgelehnt worden war.

Hinzu kam, dass Zeugen erklärt hatten, dass die Erblasserin in der Lage war, mit einer Lupe, die sie hatte, durchaus Texte zu lesen, insbesondere dann, wenn sie in größerer Schrift vorlagen. In den zwei vorliegenden Testamenten hatte die Erblasserin auch Korrekturen vorgenommen, weil sie offenbar festgestellt hatte, dass sie ein Wort doppelt geschrieben hatte. Auch auf der zweiten Seite des jüngsten Testamentes hatte sie eine ganze Wortgruppe sauber gestrichen. Eine blinde Person hätte dies nicht tun können.

Ergebnis:

Das Gericht stellte daraufhin die Tatsachen als erwiesen fest, die für die Erteilung des Erbscheines notwendig waren.

Expertentipp:

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Erbrecht Hans-Oskar Jülicher aus Heinsberg empfiehlt: Wenn absehbar ist, dass die Echtheit eines Testamentes, dessen korrekte Erstellung oder die Testierfähigkeit des Erblassers angegriffen werden wird, sollte man durch ärztliche Bestätigungen und Zeugen im Vorfeld Materialien bzw. Becheinigungen sichern, mit dem man später  Vorwürfen wie in diesem Fall wirksam entgegentreten kann.



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