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11.08.2016
Pflichtteil bei Schenkungen - Wohnrechtsvorbehalt

Pflichtteilsergänzung bei Vorbehalt eines Wohnrechts?

Gem. § 2325 Abs. 3 BGB wird eine Schenkung des Erblassers bei der Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs nur im ersten Jahr vor dem Erbfall zu 100% berücksichtigt. Für jedes weitere Jahr vor dem Erbfall wird der Wertansatz um 10% reduziert (sog. „Abschmelzungsmodell“). Schenkungen, die länger als 10 Jahre vor dem Tod des Erblassers zurückliegen, bleiben also für die Pflichtteilsberechnung unberücksichtigt.

Schenkung unter Nutzungsvorbehalt

Der Bundesgerichtshof (NJW 1987, 122) hat die Begrenzung der 10 Jahresfrist des § 2325 Abs. 3 BGB bei Schenkungen des Erblassers dahingehend erweitert, dass auch Zuwendungen, die nicht endgültig aus den wirtschaftlichen Verfügungsbereich des Erblassers ausgegliedert wurden, bei denen also kein sog. „Genussverzicht“ vorliegt, den Pflichtteilsergänzungsanspruch unterfällt. Dies hat zur Folge, dass eine Schenkung einer Immobilie unter Nießbrauchsvorbehalt die z.B. 25 Jahre vor Eintritt des Erbfalls erfolgte, immer noch zur Pflichtteilsergänzungshaftung führt. Bisher war in der obergerichtlichen Rechtsprechung noch nicht geklärt, inwieweit der Vorbehalt eines Wohnrechts dem Lauf der Frist des § 2325 Abs. 3 BGB entgegensteht. Einigkeit bestand lediglich dahingehend, dass ein Wohnrecht, dass sich auf die gesamte Immobilie erstreckt, wie ein Nießbrauchsvorbehalt den Fristbeginn des § 2325 Abs. 3 BGB hindert. Noch nicht geklärt war die Frage, ob auch ein Recht an Teilen der Immobilie z.B. an einer von zwei Wohnungen des Gebäudes dazu führt, dass die 10 Jahresfrist des § 2325 Abs. 3 BGB nicht in Gang gesetzt wird.

Schenkung unter Wohnrechtsvorbehalt

Der BGH hat sich nun erstmals in seinem Urteil vom 29.06.2016 (VI ZR 474/15 = BeckRS 2016, 12488) mit dieser Frage beschäftigt und wie folgt entschieden:

„Ob auch ein vorbehaltenes Wohnungsrecht wie ein Nießbrauch den Fristbeginn des § 2325 Abs. 3 BGB hindern kann, lässt sich nicht abstrakt beantworten. Zwar unterscheiden sich Nießbrauch und Wohnungsrecht voneinander. So ist der Nießbraucher insbesondere berechtigt, die Nutzungen der Sache zu ziehen (§ 1030 Abs. 1 BGB). Bei einem Wohnhausgrundstück kommt namentlich dessen Vermietung in Betracht. Ferner kann der Nießbrauch zwar nicht übertragen, wohl aber seine Ausübung einem anderen überlassen werden (§ 1059 BGB). Demgegenüber stellt das Wohnungsrecht lediglich eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit gemäß § 1093 Abs. 1 BGB dar, durch die der Berechtigte das Recht erhält, ein Gebäude oder einen Teil desselben unter Ausschluss des Eigentümers als Wohnung zu nutzen. Die Ausübung dieser Dienstbarkeit kann einem anderen nur überlassen werden, wenn die Überlassung gestattet ist (§ 1092 Abs. 1 Satz 2 BGB).

Dies bedeutet aber nicht, dass nicht auch - in Ausnahmefällen - bei der Einräumung eines Wohnungsrechts der Beginn des Fristablaufs gemäß § 2325 Abs. 3 BGB gehindert sein könnte. Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalles, anhand derer beurteilt werden muss, ob der Erblasser den verschenkten Gegenstand auch nach Vertragsschluss noch im Wesentlichen weiterhin nutzen konnte. Die entscheidenden Grundsätze hat der Senat in seinem Urteil vom 27. April 1994 (IV ZR 132/93, BGHZ 125, 395) aufgestellt. Hiernach gilt eine Schenkung nicht als im Sinne von § 2325 Abs. 3 BGB geleistet, wenn der Erblasser den "Genuss" des verschenkten Gegenstandes nach der Schenkung nicht auch tatsächlich entbehren muss (aaO 398). Eine Leistung liegt vielmehr nur vor, wenn der Erblasser nicht nur seine Rechtsstellung als Eigentümer endgültig aufgibt, sondern auch darauf verzichtet, den Gegenstand im Wesentlichen weiterhin zu nutzen (aaO 398 f.).

Ohne Erfolg macht die Revision ferner geltend, der Übernehmer habe keine Möglichkeit gehabt, die nicht dem Wohnrecht der Eltern unterliegenden Räumlichkeiten oder Teile davon separat zu nutzen bzw. zu vermieten. Hierbei kann offen bleiben, ob - wie das Landgericht angenommen hat - eine separate Nutzungsmöglichkeit aller drei Etagen des Hauses bestand. Jedenfalls beschränkte sich die Nutzungsmöglichkeit von vornherein nicht auf die Vermietung an fremde Personen. Der Übernehmer hatte nunmehr die - von ihm auch tatsächlich wahrgenommene -Möglichkeit, die Räumlichkeiten in den beiden Obergeschossen für sich als Wohnung zu nutzen, ohne dass der Erblasser und die Beklagte ihn daran hätten hindern können.“

 

Bernhard F. Klinger, Fachanwalt für Erbrecht in München fasst die seit der Entscheidung des BGH vom 29.06.2016 geltenden Grundsätze wie folgt zusammen:

  • Eine Schenkung ist mit der Umschreibung im Grundbuch i.S.d. § 2325 Abs. 3 BGB dann vollzogen (mit der Folge, dass die Frist in Gang gesetzt wird), wenn sich der Eigentümer dabei ein Wohnrecht vorbehält, dass sich nur auf Teile der Räumlichkeiten oder einzelne von mehreren Wohnungen erstreckt und die Nutzung nicht Dritten überlassen werden kann.
  • Dem Ausschluss der Gebrauchsüberlassung an Dritte kommt nach der Entscheidung des BGH also eine entscheidende Bedeutung zu. Deshalb sollte im Übergabevertrag zur Vermeidung einer Pflichtteilsergänzungshaftung die Gebrauchsüberlassung wie folgt ausgeschlossen werden: „Eine Vermietung an Dritte ist ausgeschlossen.“
  • Der BGH hat nicht über die Frage entschieden, ob unter welchen Voraussetzungen ein, neben dem Wohnrecht vorbehaltenes Rückforderungsrecht den Fristbeginn hindert (vgl. dazu Herrler, ZEV 2008, 461). Schädlich dürfte aber sein, dass ein an keinerlei Voraussetzungen gebundenes Rückforderungsrecht den Fristbeginn hindert. Wer eine Pflichtteilsergänzungshaftung sicher vermeiden will, sollte im Übergabevertrag auf derartige Rückforderungsvorbehalte verzichten.

Expertentipp:

Besondere Vorsicht ist geboten, bei Schenkungen an den Ehegatten des Erblassers: Der Gesetzgeber hat nämlich in § 2325 Abs. 3 BGB angeordnet, dass sämtliche Schenkungen während der Ehezeit (also auch Schenkungen die länger als 10 Jahre vor dem Erbfall erfolgt sind) im Rahmen des Pflichtteilsrechts ergänzungspflichtig sind. 



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