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11.07.2017
Nachlassverzeichnis und Pflichtteil

Notarielles Nachlassverzeichnis trotz geringem Nachlass

Unser Mitglied, Fachanwalt für Erbrecht und Erbrechtsexperte Wolfgang Roth aus Obrigheim, erklärt an Hand eines aktuellen Urteils, wie für seinen Pflichtteil der Pflichtteilsberechtigte ein notarielles Nachlassverzeichnis vom Erben auch einfordern kann, wenn der Nachlass die Kosten des Notars nicht decken sollte.

Der Leitgedanke des Gerichts: 

Der Pflichtteilsschuldner darf die Aufnahme eines notariellen Nachlassverzeichnisses grundsätzlich verweigern, wenn der Nachlass dürftig ist. Sagt sich der Pflichtteilsberechtigte jedoch für die beim Notar hierfür anfallenden Kosten gut, kann sich der Pflichtteilsschuldner auf diese sogenannte Dürftigkeitseinrede (§ 1990 Abs. 1 BGB) allerdings nicht berufen und muss den Notar beauftragen.

Der Sachverhalt des Oberlandesgerichts München:

Der Ehemann setzte seine Ehefrau mittels eines Erbvertrages zu seiner Alleinerbin ein. Ein Sohn des Verstorbenen forderte nach dem Tod des Vaters seinen Pflichtteil; zunächst wollte er ein privatschriftliches Nachlassverzeichnis mit Belegen von der Witwe haben, was sie ihm alsbald zusandte. Damit gab er sich nicht zufrieden und forderte ein notarielles Nachlassverzeichnis. Die Witwe verweigerte das mit dem Hinweis, dass sie schon alles, was zur Erbschaft gehört, offengelegt habe und außerdem sei der Nachlass so gering, dass sie daraus nicht einmal die Kosten für den Notar aufbringen konnte.

Daraufhin erhob der Sohn eine sogenannte Stufenklage auf Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses. Er gab an, dass er der Erbin bereits mehrfach angeboten hatte, die gesetzlichen Gebühren des Notars hierfür zu übernehmen. Das Landgericht und im Berufungsverfahren das Oberlandesgericht gaben dem Sohn Recht und verurteilten die Witwe zur Beauftragung des Notars und Vorlage des eingeklagten Nachlassverzeichnisses.

Die tragenden Gründe des Oberlandesgerichts: 

Der Senat des OLG München führt zunächst aus, dass nach der geltenden Rechtsprechung neben dem privatschriftlichen Nachlassverzeichnis zusätzlich ein notarielles vom Pflichtteilsberechtigten eingefordert werden kann; ein solches bietet eine höhere Garantie der Richtigkeit und Vollständigkeit. Dies hatte der Bundesgerichtshof bereits Anfang der 1960er Jahre entschieden und jüngst das Oberlandesgericht in Karlsruhe bestätigt (BGH, NJW 1961, 602). Die Vorlage des Notarverzeichnisses ist vor allem deshalb gesondert möglich, weil den Notar eigene Ermittlungspflichten hinsichtlich des Nachlasses treffen und er für den Inhalt des Verzeichnisses selbst verantwortlich zeichnet. Der Pflichtteilsberechtigte gewinnt somit einen zusätzlichen "Nachlassermittler" und muss sich nicht allein auf die Angaben des Erben verlassen.

Dieser Anspruch ist allerdings dann ausgeschlossen, wenn der Nachlass so gering ist, dass aus ihm nicht einmal die Kosten für den Notar entnommen werden könnten, wie das Oberlandesgericht Schleswig jüngst urteilte (OLG Schleswig, ZEV 2011, 31).

Hiervon ist aber eine entscheidende Ausnahme zu machen:

Auf diese Dürftigkeitseinrede nach § 1990 I BGB kann sich die Erbin jedoch dann nicht berufen, wenn der pflichtteilsberechtigte Kläger - wie im zu entscheidenden Fall - (sogar) mehrfach angeboten hatte, die gesetzlich anfallenden Notarkosten selbst und im Voraus direkt an den Notar zu bezahlen. Zwar bleibt der Erbe auch dann formell Kostenschuldner des Notars, jedoch ist durch die Kostenübernahmeerklärung das Kostenrisiko erheblich herabgesetzt. Deshalb darf sich die Alleinerbin in dieser Ausnahmesituation der Erstellung eines notariellen Nachlassverzeichnisses nicht verweigern.

Praxishinweis für Sie:

Grundsätzlich besteht bei sehr geringem Nachlass kein Anspruch auf Erstellung eines notariellen Nachlassverzeichnisses, weil die Haftungsmasse (also: der Nachlass) für die Notarkosten nicht ausreicht. In taktischer Hinsicht empfiehlt es sich für den Pflichtteilsberechtigten allerdings, eine Erklärung abzugeben, dass er selbst die anfallenden Notarkosten übernimmt.

Welchen Sinn hat aber ein Nachlassverzeichnis für den Pflichtteilsberechtigten, wenn der Nachlass ohnehin sehr gering ist und daraus keine Pflichtteilszahlung zu erwarten ist? Kostet das den Pflichtteilsberechtigten dann nicht unnötig Geld?

Es kommt drauf an: Im Nachlassverzeichnis sind nicht nur alle Bestandteile des beim Tod vorhandenen Nachlasses aufzunehmen, sondern auch Schenkungen, die für einen Pflichtteilsergänzungsanspruch maßgeblich sein könnten. Wenn bekannt ist, dass der Erblasser Vermögensbestandteile (zum Beispiel Immobilien, Geld oder Geschäftsanteile usw.) zu seinen Lebzeiten verschoben haben sollte, kann der Notar dies versuchen zu ermitteln und damit dem Pflichtteilsberechtigten mit seinem Verzeichnis eine Grundlage liefern, um notfalls nicht gegen den Erben, sondern gegen den Beschenkten vorzugehen und von ihm Gelder einfordern (§ 2329 BGB), wie Fachanwalt für Erbrecht Wolfgang Roth erklärt.

Fundstelle:

OLG München, Urteil vom 1.6.2017 – 23 U 3956/16



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