nach oben
25.8.2016
Pflichtteilsklausel

Unwissenheit von Pflichtteilsklausel schützt vor Enterbung nicht

Ausgangslage "Berliner Testament"

Sehr häufig setzen sich Eheleute in gemeinschaftlichen Testamenten oder Erbverträgen zunächst gegenseitig zum Alleinerben des Erstversterbenden ein und bestimmen dann ihre Abkömmlinge zu Schlusserben des Letztversterbenden.

Derartige Verfügungen haben zur Folge, dass die Abkömmlinge im Erstversterbensfall von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen (enterbt) sind und Pflichtteilsansprüche geltend machen können.


Pflichtteilsklausel zum Schutz des überlebenden Ehegatten

Um nun den überlebenden Ehegatten vor der Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen durch Abkömmlinge zu schützen (nicht rechtlich, aber ggf. wirtschaftlich), finden sich in solchen letztwilligen Verfügungen nicht selten sog. „Pflichtteilsklauseln“, wie z.B.:

„Sollte eines unserer Kinder nach dem Tode des Erstversterbenden von uns seinen Pflichtteil geltend machen, so ist es auch nach dem Tode des Überlebenden von uns enterbt.“


Kenntnis von der Pflichtteilklausel erforderlich?

Derartige Pflichtteilsklauseln wurden nach bislang - soweit ersichtlich - herrschender Auffassung in der obergerichtlichen Rechtsprechung und Literatur durch ein ausdrückliches und ernsthaftes sowie in subjektiver Hinsicht bewusstes Verlangen des Pflichtteils in Kenntnis der Pflichtteilsklausel ausgelöst (so noch OLG Düsseldorf, ZEV 2011, 653).

Anders nunmehr das OLG Düsseldorf (Beschluss vom 19.02.16, I-3 Wx 34/15, NJW-RR 2016, 779):
Der u.a. für Nachlassverfahren zuständige 3. Zivilsenat des OLG Düsseldorf liieß nun für das Eingreifen der Pflichtteilsklausel (also den Eintritt der auflösenden Bedingung und damit den Wegfall der Erbeinsetzung) genügen, dass ein Abkömmling seinen Pflichtteil geltend machte, obwohl er keine Kenntnis von einer Pflichtteilsklausel hatte (und auch nicht haben konnte).

In dem entschiedenen Fall war nach der verstorbenen Mutter ein gemeinschaftliches Testament der Eltern eröffnet worden, in dem diese sich gegenseitig zu Erben des Erstversterbenden und die beiden Töchter zu Schlusserbinnen des Letztversterbenden eingesetzt hatten. Eine Pflichtteilsklausel enthielt dieses Testament nicht.
Eine Tochter machte später ihren Pflichtteil gegen den Vater geltend und erhielt diesen auch.

Nach dem Tode des Vaters wurde dann ein Ergänzungstestament der Eltern mit („fakultativer“) Pflichtteilsklausel und Testamentseröffnungsverbot für den ersten Erbfall sowie ein kurz nach dem Tode der Ehefrau errichtetes Testament des Vaters eröffnet, in dem er die Enterbung derjenigen Tochter anordnete, die nach dem Tod seiner Frau den Pflichtteil gegen ihn geltend machen würde.

„Selbstverständlich", so der 3. Zivilsenat, könne „eine Verwirkungsklausel auch dahingehend ausgelegt werden, dass es nur auf die objektive Verwirklichung ihrer Voraussetzungen ankommt“, und zog für die Auslegung des entsprechenden Erblasserwillens, dass die Kenntnis des Pflichtteilsberechtigten von der Pflichtteilsklausel gerade keine Voraussetzung für den Bedingungseintritt sein sollte, das (nichtige, s. § 2263 BGB!) Eröffnungsverbot aus dem Ergänzungstestament heran.
Hieraus sei „eindeutig der Wille des Erblassers und seiner vorverstorbenen Ehefrau zu entnehmen …, dass ihre beiden Töchter von der Möglichkeit einer Enterbung im Falle einer Pflichtteilsforderung nach dem Tode des Erstversterbenden nichts erfuhren.“

Das OLG hat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen. Damit ist in FamFG-Verfahren (hier ging es um ein Erbscheinsverfahren) der Rechtsweg zum Bundesgerichtshof nicht eröffnet.


Fazit
von Rechtsanwalt Ingo Lahn, Fachanwalt für Erbrecht in Hilden:

Diese Entscheidung hat m.E. weitreichende Konsequenzen für die Beratungspraxis und verpflichtet den beratenden Rechtsanwalt zu noch größerer Sorgfalt bei der Beratung von pflichtteilsberechtigten Abkömmlingen.

Denn ein im Erstversterbensfall enterbter Pflichtteilsberechtigter, der seinen Pflichtteil geltend machen möchte, kann nicht mehr darauf „vertrauen", dass nicht irgendwo eine weitere letztwillige Verfügung mit Pflichtteilsklausel „lauert“ (etwa weil die Verfügung noch nicht aufgefunden, nicht abgeliefert oder vom Nachlassgericht (noch) nicht eröffnet wurde), und ein Gericht zu der Auslegung gelangt oder in der Verfügung gar ausdrücklich bestimmt ist, dass es auf die Kenntnis von der Pflichtteilsklausel nach dem Erblasserwillen nicht ankommen solle.

[In dem Fall des OLG Düsseldorf durfte die Tochter nach dem Tode der Mutter aufgrund der (vermeintlichen) Bindungswirkung der Schlusserbeneinsetzung in dem (einzig) eröffneten Testament sogar davon ausgehen, dass ihr Vater sie nicht mehr einseitig würde wirksam enterben können, selbst wenn sie den Pflichtteil geltend macht.]

Die pflichtteilsberechtigten Abkömmlinge (und ihre anwaltlichen Berater) werden nun stets sorgfältig abwägen müssen, ob sie vor dem Risiko einer möglicherweise vollständigen Enterbung gleichwohl den Pflichtteil nach dem erstverstorbenen Elternteil geltend machen wollen.

Auch in der Gestaltungspraxis wird nun zu erwägen sein, ob eine Pflichtteilsklausel um die Bestimmung ergänzt wird, dass es auf die Kenntnis der Pflichtteilsberechtigten nicht ankommen soll.



← zurück
Netzwerk Deutscher Testamentsvollstrecker e.V. Erbrechtsmediation Erbrechtsakademie